Hallo Jean,
vielen lieben Dank für deine schöne Aufklärung und die Erläuterungen deiner Selbsterkenntnis und Erfahrungen deines Erlebens im und nach dem Schüleraustausch.
Meine Tochter hat durch den Schüleraustausch in den USA und ihre erste Liebe, die durch die weite Entfernung langfristig nicht funktionieren kann, etwas erlebt, wo sie noch nicht richtig weiß, wie sie damit umgehen kann um dies zu verarbeiten.
Manche Kinder/Erwachsene können das gut und schnell bewältigen, um mit so einer Lebenssituation abzuschließen und wieder Freude im Leben und im Alltag zu finden und manche können dies nicht sofort verarbeiten.
Dafür braucht man Geduld, Selbstliebe, Unterstützung der Eltern, Ausdauer und Verständnis.
Ich bin von Beruf Haus- und Familienpfleger und habe u.a. diese Thematik während meiner Ausbildung und später bei meinen Einsätzen in Familien gut kennengelernt.
Um solche Erfahrungen zu bewältigen, braucht meine Tochter sehr viel Kraft, einen starken Willen, sehr viel Ausdauer.
Die Suche nach einem guten Leben ist tief im Menschlichen verankert.
Als Kinder träumen wir alle davon, eines Tages das perfekte Leben zu führen: mit harmonischen Beziehungen, erfüllenden Berufen, glücklichen Familien, wertschätzenden Freunden, aufregenden Abenteuern und Erfolgen.
Wir sind zuversichtlich, dass wir das auch erreichen können, denn wir haben das sichere Gefühl, dass es uns zusteht.
Doch irgendwann, früher oder später, nehmen wir feine Risse (Bruch) wahr, manche unsere Träume beginnen zu bröckeln, andere zerbrechen durch irgendein Ereignis ganz und gar.
Wir reagieren dann oft wütend: „Das ist nicht fair! So habe ich mir das nicht vorgestellt! Das habe ich nicht verdient!“
Es fällt uns sehr schwer dies zu akzeptieren, dass auf irgendeine Weise unser Leben nicht perfekt ist. Vor allem weil wir in unserer Leistungsgesellschaft zusätzlich unter dem Druck stehen, nach außen die vollkommene Fassade aufrechtzuerhalten, weshalb wir den Schaden schamhaft verbergen.
Was wäre, wenn wir diese Narben, die uns das Leben hin und wieder zufügt, nicht mehr verstecken müssten? Wenn unsere Verletzlichkeit keine Schwäche darstellt, sondern eine Chance auf Wachstum und ein Zeichen auf innerer Stärke?
So eine innere Reparatur ist durchaus aufwendig, denn dieser Prozess, den meine liebe Tochter gerade durchläuft, weil ihr Leben „auseinanderbricht“, wenn sie eine schmerzhafte Krise oder einen Verlust erlebt und sich der Aufgabe stellen, die Scherben ihres alten Lebens aufzulesen und daraus ein neues Leben zu erschaffen – ein Leben, indem es den Schmerz integriert und verwandelt, noch erfüllter sein kann als das alte, das sie verloren hat.
Es ist schön, durch Wunden und Rückschläge zu wachsen und stärker zu werden, statt daran zu zerbrechen; und noch mehr Liebe und Wertschätzung für sich selbst, für andere und das Leben zu entwickeln.
Zum großen Puzzle des Lebens gehören Enttäuschungen, Verlust, Krankheit, Trennung, Zurückweisung, Scheitern, Altern und Tod.
Je nach Schwere des Ereignisses können wir kurzfristige Frustrationen erfahren oder auch eine lange Phase des Trauerns erleben, sicher ist jedoch es schmerzt. Da wir Menschen und keine Roboter sind, werden wir diesem Schmerz nicht ausweichen können.
Mögliche Wege für meine Tochter um solche Erfahrungen zu lösen!
Es gibt einen guten Weg aus der Krise, man sollte offen, akzeptierend und mitfühlend reagieren – in dem Vertrauen darauf, dass der Bruch nicht das Ende bedeutet, sondern eine Station auf einer bedeutsamen Reise, die wir in der Situation selbst noch nicht ganz überschauen können.
Jetzt gilt es, Pause zu machen und sich Zeit zu nehmen , sich selbst in einer neuen Weise zu betrachten. Das Leben stellt in dieser Situation Fragen an uns, die uns helfen, unseren weiteren Weg neu zu gestalten:
Was habe ich Gutes erreicht, und was möchte ich bewahren? Was ist wichtig für mich? Was fühlt sich falsch an? Was möchte ich nicht mehr erleben, und wovon möchte ich mehr in meinem Leben haben? Was ist mein Geschenk an die Welt? Gibt es etwas Neues, das ich ausprobieren und wagen möchte? Und wohin soll meine Reise jetzt gehen?
Es ist eine Auseinandersetzung mit sich selbst, zu der jeder Bruch uns auffordert.
Viele Menschen sagen, dass sich ihr Leben nach einer Krise tatsächlich entscheidend verbessert hat.
Und auch die Psychologie weiß um den ungeahnten Wert von Brüchen; einer der Gründerväter der Psychologie C.C. Jung, der sich ausführlich mit diesem Gedankengut beschäftigt hat, vertrat sogar den Standpunkt, dass sich die Persönlichkeit nicht deshalb entwickelt, weil sie den Nutzen erkennt, sondern nur aus purer Not. „Ohne Leiden kein Glück“, brachte er seine unbequeme These auf den Punkt.
Machen wir uns also jetzt auf die Reise ins Land der aufgehenden Sonne, dass mein liebes Kind ihre eigene kleine Reparaturwerkstatt einrichten kann, wo sie ihr Leben auf neue, goldene Weise gestalten kann.
Herzliche Grüße
Dietmar