Kolumbien - Erfahrungen mit einem Gastkind aus Kolumbien

Unsere Erfahrungen mit einem Gastkind aus Kolumbien 2024/2025

Ich möchte gern zu den Erfahrungen von Andreal2 aus 2011 ergänzen.

In der Schule unseres Sohnes ging eine private Bewerbung (ohne Organisation) ein und ein 14 jähriges Mädchen aus Kolumbien suchte eine Gastfamilie für 6 Monate. Die Bewerbung war sehr positiv und offen formuliert und auch der Vater war schon in Deutschland zum Schüleraustausch. Wir wollten schon länger ein Gastkind aufnehmen, hatten uns aber tatsächlich noch nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt und noch mit keiner Organisation etc. gesprochen. Da wir aber eine positive, offene Familie sind, haben wir uns in 2 Videokonferenzen mit der Familie ausgetauscht und schon 5 Monate später begrüßten wir das Mädchen zu Hause.

Uns ist es an dieser Stelle wichtig auf ein paar Dinge hinzuweisen, in die wir blauäuig geraten sind.

Die kolumbianische Oberschicht schickt ihre Kinder entweder auf eine deutsche oder eine englische Schule in Kolumbien. An diesen Schulen stellt es mindestens eine gesellschaftliche Verpflichtung dar, das Kind ein halbes Jahr in Deutschland oder UK auf eine Schule zu senden, was sich (anscheinend) auch auf auf das Sprachdiplom auswirkt. D. h. jedes Schuljahr werden eine große Anzahl an Schülern gleichzeitig in´s Ausland geschickt. In den allermeisten Fällen wird dies nicht auf einen klassischen Austausch hinauslaufen. D. h. die Kinder wollen nicht in´s Ausland, sondern sind „verpflichtet“ dazu.
Und hier beginnen nach meiner Ansicht die Probleme: wir haben sehr viele andere kolumbianische Gastkinder kennengelernt, die zum Teil hunderte Kilometer mit dem Zug gefahren sind um sich zu treffen. Die Kinder verfügen zum Teil über erhebliche Geldmittel und dieses Geld wird auch ausgegeben. Auch unser Kind wollte beständig andere kolumbianische Gastkinder in Deutschland besuchen. Die Kinder haben/benutzen eine App über die sie jederzeit wissen, wo die anderen Kinder sind und kommunizieren entsprechend. Unsere Gasttochter haben wir die ersten Wochen eigentlich nur zum Essen gesehen. Wenn sie nicht in der Schule war (das funktionierte klaglos), verbrachte sie die Zeit ausschließlich in ihrem Zimmer, wo wir sie bis nachts auf spanisch telefonieren hörten. In all den Wochen (und auch bis zum Schluss) war sie kein einziges Mal im Zimmer unseres Sohnes um sich auszutauschen. Da wir keine Organisation mit Anleitung hatten, sind wir auch tatsächlich unbedarft an dieses Thema herangegangen. Wir haben vor einer Regulierung des internets zurück geschreckt, bis sich unser Sohn beschwert hat, da wir dessen Zeit streng limitiert haben. Nach Rücksprache mit den Eltern, die schockiert taten und einer Regulierung des internets sofort zustimmten und es ihr auch selber mitteilten, war es kurz besser. Das Geschrei aus ihrem Zimmer war sehr deutlich vernehmbar. Die „Besserung“ wärte jedoch nur kurz und auch die Eltern sorgten mit einer eigenen Telefonkarte für die Umgehung der Sperre.
Eine erneute Kontaktaufnahme mit den Eltern war sehr frustierend. Sie haben lediglich ihre Tochter verteidigt, die alles in goldenen Farben darstellte.
Wir haben weiterhin nicht aufgegeben und haben mit ihr ein letztes Gespräch geführt, in dem wir sie nach ihrer Motivation nach Deutschland zu kommen gefragt haben: Ihre Antwort war: sie wollte viel reisen und ihre kolumbianischen Freunde treffen.
Wir hatten in den Videokonferenzen im Vorfeld sehr eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es uns ausschließlich um den Austausch mit der Gasttochter und die neuen Erfahrungen geht, die sich durch den Aufenthalt ergeben sollten.
Sie war sehr verwundert über unsere Aussage. Wir haben ihr dann gesagt, dass wir sie nicht limitieren möchten, sie sich dann aber eine neue Familie suchen muss. Daraufhin war die Verzweiflung groß und sie strengte sich die kommenden Wochen an. Aber das ist das weitere Thema: man merkt es ihr an, dass es kein gewollter Austausch ist. Sie hat bis heute keine deutschen Freunde, war immer noch nicht im Zimmer unseres Sohnes und sie machen auch sonst nichts zusammen. Sie hat es noch nicht einmal versucht. An ihrer (deutschen) Umgebung zeigt sie überhaupt kein Interesse. Wir leben in einer sehr geschichtsträchtigen Umgebung, vor der wir auch viel erzählt haben. Auf unsere Frage, welches das (wirklich sehr) berühmteste Gebäude der Stadt ist, kam nach einigem Überlegen die fragende, suchende Antwort: das Rathaus…?..(nein, das Rathaus spielt überhaupt keine Rolle in unserer Stadt.)
Auch unsere Gasttochter ist anscheinend sehr sportlich und macht sehr viel Sport (wie bei Andreal2). Die Geschichte spiegelt sich auch hier. Wir haben ihr den Zugang zu diversen Sportklubs eröffnet und sie zum Teil auch verabredet. Der Ausreden waren viele…und Sport wurde nie gemacht.

Abschließend kann ich festhalten, dass wir es nur unter sehr engen Voraussetzungen empfehlen können ein Gastkind aus Kolumbien aufzunehmen. Es muss wirklich sehr deutlich geklärt werden, dass es um einen Austausch innerhalb der Familie geht. Auch würde ich mit jetzigem Wissen von Anfang an bekannt geben, dass das internet reglementiert wird. Und man sollte damit umgehen können, dass die Kinder über sehr viel Geld verfügen können.
Einen Punkt habe ich noch vergessen: die meisten Familien der Oberschicht in Kolumbien haben Personal. Eine Köchin und weiteres Hauspersonal sind nicht ungewöhnlich. Das heißt für uns alltägliche Dinge sind dort nicht bekannt und man sollte darauf gefasst sein, dass Hilfe im Haushalt keine Selbstverständlichkeit ist.

Mit der heutigen Erfahrung hätten wir den Aufenthalt eigentlich auch nach 3 Wochen abbrechen müssen. Unsere Gutmütigkeit und unsere positive Einstellung haben uns davor zurück schrecken lassen. Ob es richtig war? Ich bezweifle es. Unserem Sohn sagen wir seither, dass auch negative Erfahrungen ihre guten Seiten haben und er es auf jeden Fall anders machen soll, wenn er bei einer anderen Familie zu Gast ist.

Wir, meine Frau und ich haben nächte- und wochenlang diskutiert und unseren Familienfrieden sehr stark strapaziert. Das machen wir kein weiteres Mal.

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Hallo MartinKa,

das tut mir sehr leid, dass ihr keine gute Erfahrung mit Eurem Gastkind hattet. Es war bestimmt auch erschwerend, dass ihr keine Organisation hattet, mit der ihr Euch austauschen konntet und die ja auch klare Regeln vorgibt.
Wir haben sowohl positive als auch nicht so positive Erfahrungen gemacht. Zu unserem ersten Gastkind aus Chile, welches vor 6 Jahren bei uns war haben wir bis heute guten Kontakt, er wird uns nächstes Jahr zum ersten Mal wieder besuchen kommen und auch wir planen einen baldigen Besuch. Wir hatten ihn über AFS gefunden und es hat einfach super gepasst. Wir hatten den genau gleichen Humor und das ist schon mal die halbe Miete, denn es wurde sehr viel gelacht. Natürlich kam er auch aus einer reichen Familie und war sich nicht gewohnt, etwas im Haushalt zu tun, aber er strengte sich an, wenn auch mit Widerwillen und dennoch immer mit einem Lachen. Unsere Kinder waren damals noch klein und er war der ältere Bruder, das hat in dem Fall super gepasst, denn er hat unsere Kinder ein wenig „miterzogen“, indem er ein Vorbild war und gezeigt hat, dass er es nicht gut fand, wenn unsere Kinder mal nicht so respektlos ihren Eltern gegenüber waren :laughing: Alles in allem war es wirklich ein Traum, wir hatten aber auch null Erwartungen, da wir keine Ahnung hatten, was auf uns zukommen wird.
Wir haben uns danach nicht mehr getraut ein weiteres Gastkind aufzunehmen, da wir wussten, dass es nicht mehr so gut werden kann. Vor einem Jahr haben wir dann doch den Mut gehabt und einen Jungen aus Japan aufgenommen. Leider hatten wir bei ihm oft das Gefühl, dass seine Eltern wollten, dass er den Austausch macht. Er hatte keine wirkliche Motivation, ging keinem Hobby nach (obwohl er den schwarzen Gürtel in Karate hatte und bei der Bewerbung geschrieben hatte, dass er unbedingt weiter trainieren möchte) und verbrachte viel Zeit in seinem Zimmer. An Deutsch lernen war er auch nicht interessiert. Auch unsere Kinder haben nicht wirklich zueinander gefunden. Wir haben dennoch versucht, das Beste daraus zu machen, aber ich kann total verstehen, dass man danach keine Lust mehr hat. Dadurch, dass wir aber eine so positive Erfahrung bei unserem ersten Gastkind gemacht habe, weiss ich, dass auch das nur EINE Erfahrung ist und dass es beim nächsten Gastkind wieder ganz aussehen kann.
Deswegen kann ich Euch nur ermutigen, es irgendwann nochmal zu wagen, vielleicht über eine Organisation, das erscheint mir sicherer im Hinsicht des Austausches und des Familienwechsels und überhaupt gibt die Organisation ja auch Regeln vor, an die sich die Austauschschüler halten müssen. Die ersten 3 Monate z.B. dürfen die Austauschschüler nicht alleine durch Deutschland reisen, sondern sie sollen sich erst einmal an die Gastfamilie gewöhnen. Dann muss ein Besuch bei Bekannten und Freunden auch immer angemeldet werden. Es ist also alles reglementierter. Man kann auch erstmal einfach aus Welcome Familie fungieren (6 Wochen) und entscheiden, ob man noch länger bereit ist oder nicht.
Liebe Grüße,
Monika