Gastfamilie sein ist definitiv nicht einfach

Hallo ins Forum,

aufgrund der tollen Erfahrungen, die unsere ältere Tochter im vergangenen Jahr in den USA machte und der Tatsache, dass unsere Jüngere vor 5 Monaten ebenfalls als ATS in die USA ging, haben wir uns im letzten Jahr entschieden, ebenfalls ein Gastkind bei uns aufzunehmen. Den Anstoß dazu gab unsere Ältere, die meinte, wir wären doch auch eine tolle Familie und könnten somit etwas „zurückgeben“. Aus heutiger Sicht war unsere Entscheidung, es dann wirklich zu tun, vielleicht naiv und wir hätten gut daran getan, erst einmal Welcome Familie zu sein.
Denn seit September 2014 lebt nun eine Schülerin aus Südamerika bei uns, bei der ich schon nach einer Woche das Gefühl hatte, das die Chemie zwischen uns nicht stimmt, da das Mädchen zwar sehr nett und höflich ist, aber wenig spricht und auf unsere Fragen, wie „Möchtest Du dies oder das?“ stets mit „Ist mir egal“ oder „Ich weiß nicht“ antwortete. Vor allem kam (und kommt) es uns so vor, als wenn es ihr an Interesse für unsere Familie, für die deutsche Schule (und Schüler/innen), für unsere Kultur usw. fehlt - also Dinge, die nach unserer Auffassung unabdingbar wichtig sind für einen Austausch. Im Prinzip genau das, was schon jmd. hier im Forum geschrieben hat: Ein ATS muss neugierig sein und den eigenen (!) Willen haben, sich an andere Lebensweisen anzupassen und sich auch an einer fremden Schule durchzubeißen und Kontakt zu dt. Schülern zu suchen.
Aber durch die Informationen der Austausch-Orga wussten wir natürlich, dass das Aneinander-Gewöhnen Zeit braucht und versuchten also, mit der neuen Situation zu leben. Beim ersten Wochenend-Seminar nach 2 Monaten sprach ich mit anderen Gasteltern darüber, von denen manche ähnliche Erfahrungen gemacht haben (und das meist ebenfalls mit Südamerikanern, die wir für besonders aktiv, aufgeschlossen und begeisterungsfähig eingeschätzt hatten).

Anschließend habe ich ein offenes Gespräch mit unserer brasilianischen Tochter geführt und ihr meine Sicht geschildert und sie hat erklärt, dass man in Brasilien (und/oder ihrer Familie) nicht offen über Dinge spricht, sie sich aber bei uns wohlfühlt und sich bemühen will, ihr Verhalten zu ändern und sich auch mehr zu öffnen. Darum haben wir das bereits mit der Elternvertreterin der Orga geplante Gespräch dann doch nicht geführt.

Inzwischen hat sich unser Leben irgendwie eingependelt, aber gut fühlt es sich zumindest für mich nicht an. Unsere ATS spricht nach wie nur dann, wenn man auf sie zugeht, sie zeigt kaum Interesse für Dinge, die in unserer Familie passieren - außerdem können sie und unsere Tochter nichts miteinander anfangen (obwohl sie gleichaltrig sind und zur selben Schule gehen) und auch bei schönen, gem. Aktivitäten (Theater, Comedy, Konzert, Weihnachten etc.) kommt nichts rüber, keine Begeisterung, keine Empathie, sodass ich mittlerweile die Lust verloren habe, etwas zu organisieren.
Wirklich Spaß macht es ihr glaube ich nur, sich mit anderen ATS zu verabreden, was sie auch häufig tut.

Unsere Tochter und mein Mann sehen die Situation zwar auch als nicht ganz optimal, aber während mich die ganze Sache als Mutter und Bezugsperson mehr uns mehr zermürbt, haben sie sich mit der Lage arrangiert.

Ich bin nun hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, das Abenteuer Gastfamilie abbrechen zu wollen oder aber „durchzuhalten“ bis zum Sommer, in der Hoffnung, dass ich danach irgendwann sagen kann: Es hat sich gelohnt!

Viele Grüße,
KirstenMarlene

Hallo KirstenMarlene,
tut mir leid, wenn es so ganz anders ist , als ihr euch erhofft hattet.

Ich war noch nie Gastmutter. Nur mein Sohn hatte große Probleme während des ATJs. Er hat es zu lang hingenommen und ich hab mich viel zu spät eingemischt. Das bereue ich heute. Dadurch bin ich konsequenter und offensiver geworden. Ich glaube nicht daran, dass man etwas, das belastend ist, hinnehmen sollte und auf ein Wunder warten sollte. Niemals.
Was überwiegt denn bei Dir? Wenn Du euer altes Familienleben zurückersehnst, dann werde aktiv und sorge dafür, dass das Mädchen einen anderen Platz bekommt. Wenn es Dich zufriedener macht hinterher sagen zu können, durchgehalten zu haben, dann versuche noch irgendetwas rauszuholen aus dem Jahr mit eurem Gast. Dann würde ich allerdings noch mal Rat einholen bei der Organisation. Letztendlich kannst allerdings nur Du allein wissen, was besser für Dich und Deine Familie ist.
Grundsätzlich denke ich, es ist keine Schande, zu sagen, man hatte guten Willen aber es ging einfach nicht. Zum Abbrechen gehört genauso Mut wie zum Weitermachen.

Die Kids aus Südamerika mögen dann und wann verwöhnt sein, die deutschen Menschen mögen ihnen steif und langweilig vorkommen, von den ehrgeizigen Eltern mögen so manche hergeschickt sein und somit sind sie evtl. unmotiviert. Eine Gastmutter in unserer Stadt erzählte mir von 2 südamerikanische ATS, die waren wie sie sagte, aus „gutem Haus“ mit Personal. Sie waren allerdings beide bereit, sich einzugliedern. Der Eine fragte sogar ob er bei der Kellerreinigung helfen sollte. Ja, nimm dir den Besen, hieß es. Er nahm ihn und versuchte mit der oberen Holzseite etwas auszurichten. Aber er bemühte sich immerhin und er fuhr auch täglich bei fast jedem Wetter mit dem Fahrrad zur Schule usw. Weil es hier seit Jahren üblich ist, dass Rotary-ATS am Gymnasium sind, hab ich ein südamerikanisches Mädchen kennengelernt. Sie war wunderbar, ganz lieb, sehr interessiert, überall dabei. Ich hätte sie gern bei mir wohnen gehabt. Soweit nur mal, um eine Lanze zu brechen für Austauschschüler aus Südamerika.

Hallo KirstenMarlene,

ich habe ja bereits mehrfach gepostet, dass wir bei unseren beiden ATS - ebenfalls Südamerikaner - doch sehr unterschiedliche Erfahrungen machen konnten. Beide kamen aus Bolivien, beide waren Schüler einer deutschen Schule im Ausland (aber an unterschiedlichen Standorten). Während wir heute - nach 7 Jahren - zu unserem ersten Südamerikaner immer noch Kontakte pflegen und auch die Eltern uns immer noch Weihnachtsgrüße senden, gab es bei dem zweiten ATS schon unmittelbar nach Ende seines Deutschlandaufenthaltes keine Kommunikation mehr. M. E. spielt es auch nicht die Rolle, aus welcher sozialen Herkunftsfamilie die ATS kommen; unser erster Bolivianer hatte div. Hauspersonal, und kam ganz eindeutig aus einer sehr betuchten Oberschichtfamilie, wohingegen wir eine “normale” Pfarrersfamilie aus Westfalen doch ganz anders positioniert sind. Aber dieser Junge wollte Eindrücke mitnehmen, wollte das Leben von “normalen” Jugendlichen kennenlernen und wollte Bestandteil dieses unseres Lebens sein. Der andere Junge fühlte sich als Gast und wollte auch so behandelt werden: egal in welcher Beziehung. Dass dies zum Scheitern verurteilt war, brauche ich nicht weiter auszuführen. Auch die Neugier auf die andere Kultur, mit der eigentlich ein Austausch einhergehen sollte, fehlte ihm. Wir haben ganz schnell gelernt: wenn es nicht zusammenpasst, sollte man es thematisieren. Dies haben wir getan - aber wir mussten - da bei den dtsch. Schulen im Ausland i. a. R. keine Ersatzfamilien zur Verfügung stehen - den Besuch durchstehen (auch dies war uns vorher nicht bewusst…). Dieses Durchhalten müssen war für beide Seiten nicht toll - unsere Kinder haben sich vollständig von unserem ATS distanziert - aber immerhin war auch bei der Schule in Bolivien angekommen, dass auch die Schule diesem Jungen keinen Gefallen getan hatte, ihn an dem Austausch teilnehmen zu lassen. Die Regeln sind dort andere als bei Austauschorganisationen (m. E. leider!!!)
Fazit: Wenn sich eure Familie im Ganzen einig ist, dass es so nicht weiter geht, thematisiert es gegenüber der ATS und auch der Orga - dann muss ein Schlussstrich her. Wenn nur du als Hauptansprechpartnerin Schwierigkeiten hast, formuliere du deine Schwierigkeiten gegenüber der ATS dann alleine (den Anfang hast du ja wohl schon gemacht) und erinnere sie auch an dies Gespräch.
Vielleicht schafft nur ihr beide ja auch ein nur euch betreffendes Stück Gemeinsamkeit, was vielleicht schon einen Anfang zur Besserung bedeuten könnte! Ich wünsche dir und deiner Familie viel Geduld und Langmut bei der Bewältigung dieser nicht einfachen Aufgabe! Vielleicht klappt es ja!!!

Liebe Grüße

Hallo Canada-Mum,
Danke für Deine Zeilen. Nach weiteren Gesprächen zwischen mir und unserer Gasttochter sowie einem Round-Table-Termin mit den Betreuern der Organisation haben wir uns vor 2 Wochen entschlossen, ihren Aufenthalt bei uns zu beenden - und am vergangenen WE ist dann der Umzug in eine andere Familie erfolgt. Kurz gesagt hat die Chemie einfach nicht gestimmt, weil speziell ich Erwartungen hatte (Offenheit, Interesse, Kommunikationsfreude etc.), die sie nicht teilen oder erfüllen konnte und die mir als wichtig und notwendig erscheinen, damit man bei allen (kulturellen) Unterschieden Gemeinsamkeiten entdecken, zusammenwachsen und sich miteinander wohlfühlen kann.
Mein Mann hatte bedingt durch seine langen Arbeitszeiten, weniger Kontakt und darum auch weniger Probleme mit ihrer Art, aber unsere Tochter und auch Freunde und Bekannte haben ebenfalls festgestellt, dass da einfach “nichts zurückkommt”.
Trotzdem fühle ich mich einerseits wirklich mies, weil ich es nicht geschafft habe, eine Beziehung zu ihr aufzubauen, andererseits ist eine große Last von mir abgefallen, weil ich die Situation als extrem zermürbend empfunden habe, was sich in sehr negativ auf die Stimmung in unserer Familie auswirkte. Jetzt heißt es erstmal Durchatmen und zur Ruhe kommen… Liebe Grüße

Liebe KirstenMarlene,

du hast das Richtige getan! Wenn es nicht geht, dann geht es nicht! Aber ich kann deine Gefühle so gut nachfühlen! Ich habe mich auch wochenlang unglaublich mies und als Versagerin gefühlt, als wir damals das Jahr mit unserem Brasilianer nach 12 Wochen vorzeitig beendeten. Nächtelang grübelte ich darüber, was ich noch hätte versuchen sollen, was ich hätte anders machen können, wo ich ungerecht gewesen war und vielleicht zu wenig Verständnis gehabt hätte. Es ging mir richtig schlecht!

Und das, obwohl unsere Familie schon ein erfolgreiches Jahr mit einem anderen ATS hinter sich hatte. Eigentlich ging es mir erst besser, als ich hörte, dass der Junge aus der nächsten Familie wieder rausgeflogen war und aus der übernächsten auch. Erst das entlastete mich von meinen nagenden Schuldgefühlen. Wie dumm!

Seither bin ich in den Austauschforen, immer wenn es um Familienwechsel geht, eine glühende Vertreterin dessen, auch mal die Situation der Gastfamlie zu bedenken. An keiner Gastfamilie geht ein Wechsel einfach so vorbei, jede Gastfamilie trägt auch ihren eigenen Kummer damit. Und auch die Zeit bevor es zum Wechsel kommt, ist eine psychisch sehr anstrengende Zeit für eine Gastfamilie.

Also, vergiss es so schnell wie möglich! Du hast es versucht, nach bestem Wissen und Gewissen. Mehr kann keiner!
Ganz herzliche Grüße
Rana

Liebe KirstenMarlene,
wir waren in der gleichen Situation und ich verstehe Dich sehr gut.
Ich habe mich auch sehr schlecht gefühlt, als der Anruf von unserer Orga kam, dass eine neue Gastfamilie für unseren japanischen Austauschschüler gefunden wurde. Wir hatten ihn uns ja damals aus mehreren Profilen selbst ausgesucht. Auch hatten wir so viel Unterstützung von anderen Menschen bekommen, damit er sich integriert. So hat z.B. unser Fußballverein innerhalb weniger Tage eine Spielerlaubnis für ihn bekommen und dabei Kontakte zu bekannten Personen genutzt. Wir haben viel mit ihm unternommen, um als Familie zusammenzuwachsen. Mein Mann war mit ihm auf Schalke und, und, und…
Aber ich konnte irgendwann nicht mehr. Drei Monate lang war er Dauergesprächsthema, alles drehte sich nur noch um ihn.
Am Tag seiner Abreise hat er seinen Nikolausstiefel ohne ein Danke in seine Taschen verstaut und 2 Stunden später ist unsere komplette Familie samt Gastschwester von seiner Facebook Freundesliste entsorgt worden. Das tat weh.
Unsere italienische Gasttochter hat sich eng mit einer amerikanischen Austauschschülerin bei uns im Ort angefreundet. Diese Gastfamilie hat auch so viel mit ihr unternommen. Sie waren mit ihr in Hamburg, Bremen und über die Oktoberferien in München und Österreich. Sie hat auch die Gastfamilie gewechselt, die waren ihr zu Deutsch! Auch hatten wir noch einen Argentinier im Ort. Er ist bereits im November wieder nach Hause und er hatte auch wirklich keine schlechte Familie.
Und bei all diesen Erlebnissen frage ich mich wirklich, warum wollen diese Jugendlichen ein Austauschjahr machen? Gastfamilien und Schulplätze wachsen nicht auf den Bäumen. Wir haben den Schritt nochmal gewagt und jetzt zu unserer italienischen noch eine thailändische Gasttochter. Als ich sie in der Schule anmelden wollte, hat der Direktor mir ganz deutlich klargemacht, dass Austauschschüler nicht mehr Willkommen sind.
Liebe Grüße Berit

Hallo KirstenMarlene,

nein: bitte nicht grübeln. Wenn es nicht geht, geht es nicht!!! Und wenn du als Hauptansprechpartnerin es nicht mehr aushalten kannst, dann ist ein Schlussstrich für alle Beteiligten die einzig richtige Lösung. Denn ihr als Familie seit wichtiger als das Intermezzo des Auslandsaufenthaltes der ATS, der normale Alltag ist schon zermürbend genug. Bei uns war es genau anders herum: der Rest der Familie war schon nach kurzer Zeit dermaßen “angefressen” ob des Verhaltens des ATS, dass sie nicht mehr wollten und konnten; ich habe immer wieder versucht, Verständnis aufzubringen. Bis unser 2. Bolivianer dann in Berlin (bei einem unserer vielen Ausflüge) sich dermaßen daneben benommen hat, dass auch ich nicht mehr bereit war, Toleranz zu predigen. Und das Löschen der facebook Seite kenne ich auch… Seht es als Episode in eurer Familiengeschichte! Und niemand ist vorschnell bereit, in einer derartigen Sitation zuzugeben, dass es so nicht weitergehen kann.
Eine Randbemerkung:
Der 2.Bolivianer war - zum Glück - noch vor Weihnachten dann abgereist (Weihnachten hat für uns im Jahresverlauf halt eine ganz besondere Bedeutung). Ende Januar trudelte dann eine Weihnachtskarte der Großmutter (!!!) ein, die sich für die nette und bemühte Aufnahme ihres Enkels bei unserer Familie bedankte. Der Kommentar meines Mannes lautete lakonisch: die wusste schließlich, wie sich ihr Enkel nicht benehmen kann…

Dir und Deiner Familie wünsche ich ein möglichst schnelles Verarbeiten dieses Themas.

Liebe Grüße aus Westfalen
canada-mum

Vielen, lieben Dank für Eure Kommentare und aufmunternden Worte!
Ich denke, man kann vorher noch so viel lesen und recherchieren - und trotzdem kann und wird man erst bemerken, wie es ist, Gastmutter (oder -familie) zu sein, wenn es geschieht. Ich dachte, ich wüsste Bescheid, u.a. weil unsere ältere Tochter letztes Jahr als ATS in USA war (und ein wundervolles Jahr in einer tollen Familie hatte) und die Jüngere seit August 2014 viel Spaß in einer komplett unterschiedlichen Familie in einem anderen Bundesstaat in den USA hat, aber genau das ist es wohl: Jede Familie ist anders… und jedes Kind auch!
Ich verstehe nach wie nicht, warum es mit unserer ATS nicht geklappt hat, weil ich der Meinung bin, alles gegeben zu haben, aber es ist, wie es ist und wir müssen nun versuchen, es abzuhaken. Dennoch bin ich sehr enttäuscht und geknickt, zumal es ja unser 1. Versuch als Gastfamilie war, der uns nun als negative Erfahrung in Erinnerung bleiben wird. Ich denke, es wäre vielleicht sinnvoll und/oder heilsam, es irgendwann noch einmal zu versuchen, aber zZt. kann ich mir das nicht vorstellen. Trotzdem glaube ich nicht, dass wir als Gastfamilie per se ungeeignet sind, sondern mit einem anderen Gastkind sicher viel Spaß und schöne Erlebnisse haben könnten.

Viele, liebe Grüße KirstenMarlene

Hallo liebe KirstenMarlene,

manche Schüler und Familien passen einfach nicht zusammen und es gibt leider auch immer wieder Schüler, die nicht wirklich für ein ATJ geeignet sind.
Manchmal wollten eher die Eltern als die Kinder den Austausch und wie du festgestellt, hilft alles lesen nicht um sich auf die wirkliche Erfahrung vorzubereiten. Damit haben die ATS auch zu kämpfen. Versuch es als Erfahrung abzuhaken und es vielleicht nach einer gewissen Zeit nochmal zu versuchen.
Ich werbe ja auch immer für die Aufnahme von Wechselschülern. Da kann man fragen, ob sie nicht vorher für ein Wochenende Probewohnen. Und nicht jeder Wechselschüler ist problematisch.

Um noch ein paar positive Erfahrungen beizusteuern…in unserem Komitee sind gerade 5 ATS und alle sind noch in ihren Familien. Zwei waren ursprünglich erstmal Halbjahresfamilie und behalten ihre ATS. Wir haben dieses Jahr 5 tolle und an Deutschland interessierte junge Menschen bekommen. Es gibt also auch die anderen!
Ich bin mit meiner Gasttochter sehr glücklich!

Hallo, ich möchte mich erst einmal für die vielen hilfreichen Kommentare bedanken - auch wenn sie schon lange zurückliegen. Wir hatten auch einen Austauschschüler in unserer Familie und ich kann so viel wiedererkennen. Vor allem sehe ich, dass es auch anderen Gastmüttern nicht leicht gefallen ist, die Entscheidung zu treffen, dass der Gastschüler gehen muss. Diese Grübeleien, die ständigen, nicht aufhörenden Gespräche über den Gastschüler, weil etwas nicht stimmte, kenne ich nur zu gut.

Da mir die Beiträge anderer Gastmütter so geholfen haben und ich mich „endlich verstanden gefühlt“ habe, möchte ich auch meine Erfahrungen teilen.

Ich würde uns als sehr engagierte Familie beschreiben. Wir haben uns auf unseren Gastschüler gefreut. Wir haben sein Zimmer schön hergerichtet. Wir haben ihm ein Fahrrad gekauft, damit er sich selbstständig fortbewegen kann. Ich habe mir aufmerksam seine gesamten Bewerbungsunterlagen durchgelesen, um gut auf die Person vorbereitet zu sein, die kommen sollte. (Das Profil war am Ende leider jedoch in vielen Teilen gefälscht, wie wir feststellen mussten).

Der Gastschüler kam dann auch endlich an und wirkte zunächst kommunikativ und aufgeschlossen. In der Tat war er die ganze Dauer seines Austausches hinweg immer freundlich - bis auf zuletzt. Er hatte kulturtechnisch dieses freundliche Verhalten irgendwie drauf. Und irgendwie hatte er ja auch keinen Grund sich anderes zu verhalten, da wir uns wirklich sehr viel Mühe gegeben haben.

Mit der Zeit stellten wir fest, dass so ziemlich alle „basics“ nicht stimmten. Er saß von Anfang an oben in seinem fast ständig abgedunkelten Zimmer. Zuerst dachte ich, er sei noch müde. Klopfte ich mal an, so war stets sein Schultablet an. Ich habe mehrmals versucht, ihn nach unten zu uns einzuladen und ihm erklärt, dass er auch Zeit mit der Gastfamilie verbringen sollte, sich einfach mal dazusetzen könnte. Kein Erfolg! Dass er auf Ausflüge mitkommt, darauf habe ich dann absolut bestanden. Selbst da fing er an, sich raushalten zu wollen und ich fing an mich zu fragen, warum er überhaupt an einem Austausch teilnehmen wollte. Wir haben uns viel Mühe gegeben: wir sind in die Therme gefahren, in den Hochseilgarten, mit der Seilbahn auf einen Berg, in die Kletterhalle, Schlittschuh laufen, Schlitten fahren (in seiner Gegend gab es keinen Schnee), ihn beim Fußball angemeldet … und so vieles mehr.

Es kam jedoch einfach nichts zurück. Wir waren an seiner Kultur interessiert. Nichts!!! Gerne hätte ich mal ein typisches Gericht von seiner Kultur gegessen …

Auch bei der Hausarbeit hat er sich gedrückt, wo er nur konnte. Nur wenn ich mal den Staubsauger direkt vor seiner Nase abgestellt habe und meinte, er sollte sein Zimmer saugen, dann hat er das getan und den Staubsauger auch wieder vor seiner Tür stehen lassen. Es wurde nicht gefragt, wo der Staubsauger hingehört. Nach einem Gespräch mit seiner Betreuerin fragte er mich wie es denn mit dem „Auto aussaugen“ sei. Als ich meinte, dass wir da kaum zu kommen, meinte er, dass es bei ihm in der Familie genauso sei und fertig. Er hatte ja nachgefragt. Wie sehr hätte ich mich über ein ausgesaugtes Auto gefreut. Und so war es immer. Nach dem Essen ist er gleich wieder nach oben verschwunden. Einen Topf abwaschen, etwas wegräumen? Nein! Er ließ sich bedienen, sich seine Wäsche waschen und abliefern … das konnte irgendwie nur zu Problemen führen. Die kleinen, wenigen Pflichten im Haushalt erledigte unzuverlässig und musste dran erinnert werden.

Das ursprünglich saubere Zimmer, welches wir ihm angeboten hatten, versetze er in einen Chaoszustand. Ich würde es sogar einen „Messi-Zustand“ nennen. Denn trotz mehrerer Aufforderungen, regelmäßig zu lüften, geschah nichts. An meinen freien Tagen, lüftete ich das Zimmer mehrere Stunden durch. In dem Zimmer herrschte eine Badezimmeratmosphäre. Als der Gastschüler dann auszog, entdeckten wir den Schimmel an der Wand und der Matratze.

Je mehr er sich in seiner Schule einlebte, desto mehr wollte er nachts herumgefahren werden. Unsere Begeisterung dafür hielt sich natürlich in Grenzen. Zum einen hatten wir kleine Kinder und einen festen Tagesrhythmus und zum anderen hatten wir keine Lust etwas für jemanden zu tun, der ja auch nichts für uns tun wollte und nichts mit uns zu tun haben wollte. Generell haben wir ihn schon an Orte gefahren, wo er hin wollte bzw. einen rechten logistischen Aufwand (Fahrgemeinschaften, Mitfahrgelegenheiten) betrieben, um ihm zu ermöglichen, an seine Ziele und Veranstaltungen zu kommen. Wir hatten ja unser Wort gegeben.

Kurz bevor er unsere Familie verlassen sollte, wollte er noch einmal irgendwo hin. Wir hatten keine so große Lust mehr, ihn rumzufahren. Da hat der Gastschüler das ganze „erwünsche Programm“ abgespielt. Plötzlich konnte er mithelfen, sich vorbildlich mit unseren Kindern beschäftigen,… Wenn man vorher oft dachte, er würde seine eigene Muttersprache nicht verstehen (Habe ich nicht gewusst! Tut mir leid! Kannst du es mir genauer zeigen und erklären!), war spätestens in diesem Moment klar, dass er alles bis ins Detail verstanden hatte, nur eben nicht mithelfen … wollte. Er kannte jede direkte und indirekte Erwartung bis ins Detail. Das war mir ein Augenöffner und hat mir noch einmal diese sowieso schon vermutete Falschheit in seinem Verhalten so deutlich gezeigt.

Während seines Aufenthaltes bei uns, ist er auch sehr unvorsichtig mit unseren Kindern umgegangen. Vielleicht war es von daher auch ganz gut, dass er die meiste Zeit gar nicht in der Nähe der Kinder war.

Und das war nur die Erfahrung mit dem Austauschschüler. Noch belastender war der Kontakt mit der Mutter des Austauschschülers. Sie hatte sich selbst irgendwie zum „Hauptaustauschschüler“ erklärt. Während wir den Gastjungen kaum zu Gesicht bekamen, war seine Mutter über Mail ständig präsent in unserem Leben. Der Fokus lag derart auf der Mutter des Gastjungen, sie beanspruchte so viel Zeit, Aufmerksamkeit … Dabei lief auch so viel bei dem Gastschüler verkehrt. Das lag erst einmal total im Hintergrund. Dabei hätte man sich von Anfang an mehr um die Dinge kümmern müssen, die bei dem Jungen aus dem Ruder liefen. Sie bombadierte uns mit E-Mails. Diese Mails waren anfänglich nett. Ich versuchte, Verständnis für diese besorgte Mutter aufzubringen, die zum ersten mal ihren einzigen Sohn allein ins Ausland gehen ließ. Ich bin (im Nachhinein „dummerweise“) auf ihren vielen Sorgen eingegangen. Dann kamen aber immer mehr Anweisungen und schon fast Befehle und grobe Zurechtweisungen (Ich hatte ihrem Sohn Bilder von seinen Ausflügen bei uns über Whatsapp geschickt. Das hatte ihr gar nicht gepasst.). Sie wollte aus dem Ausland heraus alles im Griff haben. So konnte sich der Gastschüler eigentlich nie unserer Familie anpassen, wie eigentlich von der Organisation angedacht. Eigentlich hätte sich der Gastschüler in die Familie einfügen sollen. Die andere Familie wollte aber ihr eigenes Ding machen und uns Anweisungen geben, wie wir alles zu machen hätten. Sie wollte unser Leben bestimmen. Sie gab uns ihre Anweisungen und ständig hörte ich von oben, wie ihre Stimme ihrem Sohn gegenüber vom Computer schallte.

Die Mutter des Austauschschüler hatte ganz genaue Ernährungsvorschriften für ihren Sohn. Diese Ernährungsart war allerdings ziemlich kostspielig und wir sollten zahlen. Sie wollte uns vorschreiben, wie wir ihrem Sohn Deutsch beizubringen hätten und wurde dabei mitunter beleidigend. Nur Deutsch hätten wir mit ihm zu sprechen. Sie fing an, uns ihren vielen Mails auf Deutsch zu schreiben (mit Übersetzungmaschine), um selbst Deutsch lernen zu können, obwohl ich signalisiert hatte, dass ich mit zwei Kindern, dem Gastschüler, Arbeit und Haushalt dafür keine Zeit haben würde. Was wir nicht alles für den Sohn zu tun hätten. Dies und das sollten wir tun, immer neue Aufgaben und Anweisungen … Wir sollten ihm eine schulische Prüfung organisieren, was sie im Heimatland verpasst hatte zu organisieren. Wir sollten dazu eine internationale Schule finden und auch da war die Mutter wieder zu spät dran. Es war schon der letzte oder vorletzte Tag, wo man die Prüfung überhaupt in in Deutschland hätte machen können. Mir ist der Kragen geplatzt. So ziemlich alles wusste diese Mutter besser als jeder andere.

Das, was ihre Pflichten gewesen wären, hat sie allerdings vernachlässigt und scheinbar nicht gewusst. Sie wusste wirklich alles besser nur ihren eigenen Pflichten erfüllte sie nicht. Die Gastschüler hätten von ihren Eltern einen gewissen Betrag an Taschengeld bekommen sollen. Davon wollte die Gastmutter nichts gewusst haben. Sie schrieb uns dann nur, dass es ja andere Austauschorganisationen gäbe, die die Kinder adoptieren und alles für sie zahlen. So war das mit dieser Organisation aber nicht vereinbart gewesen. Sie fand Ausreden, versuchte der Organisation klarzumachen, dass es bei uns keine Geldautomaten gäbe, was auch die Leute von der Organisation komisch fanden. Erst als es hieß, dass der Gastschüler die Familie verlassen muss, war es plötzlich möglich, „Geld locker zu machen.“ und auch erst dann als der Gastschüler wusste er sollte gehen, dies aber vermeiden wollte, fing er an im Haushalt tätitig zu werden. Sobald er wusste, dass eine andere Gastfamilie für ihn zu Verfügung stand, stellte sich die Mithilfe sofort wieder ein.

Erst dachten wir, dass nur die Mutter so wäre und versucht, die Gastfamilie „auszubeuten“. Mit der Zeit stellte ich aber fest, dass „der Apfel nicht weit vom Stamm fällt“. Ich beantragte eine finanzielle Unterstützung für den Gastschüler. Als er das Geld dann endlich hatte, buchte ich einen Friseurtermin für den Gastschüler. Der Termin rückte näher und ich ich dachte mir: „Sage ich ihm, dass er sein Geld mitnehmen soll oder nicht?“ Ich entschloss mich, es ihm nicht zu sagen und ihn höchstwahrscheinlich auffliegen zu lassen. So war es dann auch. Er fuhr ohne Geld los und geriet in eine peinliche Situation. In seinem Land würde man ja schon beim Buchen des Termins bezahlen, versuchte er sich herauszureden. Obwohl der Termin lange im voraus bestand, hatte er uns aber nie gefragt, was wir denn für die Vorausbuchung bezahlt hätten. Dieses Verhalten von ihm war leider kein Einzelfall. Immer wartete er, dass wir alles für ihn zahlten, auch dann als er schon seine Förderung erhielt, die eigentlich seine Mutter hätte beantragen müssen.

Die Mutter versuchte uns immer wieder klar zu machen, dass sie finanziell arm dran sei. Leider konnte ich ihr kein Glauben schenken, da wir schon merkten, dass das Bewerbungsprofil des Austauschschülers scheinbar weitgehend gefälscht war. Er sollte ein Jahr lang Französisch gehabt haben. Dann war es nur ein 3-Wochenkurs. Er sollte seit 2015 Gitarre, Klavier, Klarinette, Geige, … als Hobby haben. Tatsache war, dass er keine Gitarrenvorkenntnisse hatte und auch an unser Klavier ging er niemals. Er sollte ehrenamtlich so aktiv sein. Tatsache war, dass er ein absoluter Faulpelz war, morgens ewig lange im Bett lag und nicht aus den Federn kam. Und das waren nur die Dinge die wir überprüfen konnten. Das meiste konnte wir ja gar nicht überprüfen.

Der Austauschschüler zeigte uns über google wo die Familie wohnte. Die Frau besaß ein Haus, ein Auto. Der Großvater des Jungen besaß laut Aussage des Gastschülers ein eigenes Geschäft wo der Großvater die praktischen Dinge erledigte und die Großmutter die Buchführung machte. Hatte Opa dann auch kein Geld für seinen Enkel??? Außerdem konnte die Mutter des Gastschülers es sich leisten, ihren Sohn seit der Grundschulzeit zu „homeschoolen“. Welche alleinerziehende Mutter in Deutschland könnte es sich leisten, zu Hause zu bleiben, nicht zu arbeiten und ihr Kind zu homeschoolen, wenn es keinen Vater gibt, der Unterhalt zahlt. Ich kam mir belogen und betrogen vor.

Auch mit der Organisation bin ich nicht so ganz zufrieden. Es arbeiten viele Ehrenamtliche in der Organisation. Das ist eine tolle und lobenswerte Sache. Die Ehrenamtlichen sind teilweise wirklich auch sehr nett und leisten viel, vielleicht manche mehr als das Ehrenamt verlangen würde. Dennoch hat Ehrenamt eben seine Grenzen. Man will etwas machen, das einem Spaß macht. Während der Anwesenheit unseres Gastschülers hatten wir schon aufmerksame Ohren und unsere Betreuungsperson hat viel unserer extremen Belastungssituation mitgetragen, was logischerweise auch für die Betreuungsperson belastend gewesen sein muss.

Dennoch konnte ich Einiges nicht verstehen. Zu Sylvester hatten wir uns endlich zu dem Entschluss durchgerungen, dass unser Gastschüler gehen sollte. Es war schlimm für mich, einen jungen Menschen abweisen zu müssen. Dennoch ging es einfach nicht mehr, weder mit seiner Mutter noch mit ihm. Ich war komplett am Ende und emotional echt fertig. Die letzten drei Monate drehten sich die Gespräche in unserem Haushalt nur noch um die Mutter des Gastschülers und den Gastschüler. Dabei hatten wir doch eigene Kinder. Dabei musste man in Beruf und Familie doch selbst funktionieren.

Obwohl wir das Austauschprogramm zu Sylvester beenden wollten, wurden wir als Gastfamilie in eine ganz dumme Situation gebracht. Da hieß es, wenn wir ihn nicht bis Mitte Februar behalten würden, dann müsste die Organisation ihn sofort ins Heimatland zurückschicken. Also wurden wir gefragt, ob wir ihn 1 1/2 Monate länger behalten. Das hätte nicht sein dürfen. Man hätte uns nicht um so etwas bitten dürfen. Es hatte sich schon eine Weile angebahnt, dass die Konstellation nicht passte. Die Organisation hätte ein „back-up“ haben müssen. Der Austauschschüler hätte unsere Familie schnell verlassen müssen. Wir waren in einer Zwickmühle. Ich war emotional schon komplett fertig und trotzdem wollte man es dem jungen Menschen irgendwie nicht antun, sofort in sein Heimatland zurückgeschickt zu werden. Also haben wir die Zeit noch ausgehalten.

Auch das mit der Ehrenamtlichkeit hat seine Grenzen. In der Organisation sind viele junge Leute tätig, die positive Auslandserfahrungen gesammelt haben. Wie es einer Familie wirklich geht, die so negative Erfahrungen sammelt, kann der eine oder andere wahrscheinlich gar nicht nachvollziehen und man möchte sich als Ehrenamtlicher damit eigentlich auch nicht beschäftigen, weil es das eigene Ehrenamt überschreitet.

Ich fand es sehr schlimm von einem jungen Mitglied der ehrenamtlichen Organisation die Rückmeldung zu bekommen, dass es für unsere Betreuungsperson ja auch belastend war mit unserer Situation. Warum hat genau diese Betreuungsperson uns dann aber gefragt, ob der Gastschüler noch 1 1/2 Monate länger bleiben kann? Es hatte doch seinen Grund, dass wir wollten, dass der Gastschüler uns verlässt. Weder ich wollte noch länger belastet werden, noch wollte ich zu einer Belastung für andere werden. Es war quasi unmöglich, die Situation allein zu tragen und zu verarbeiten. Und immerhin waren wir ja an „vorderster Front“. Was passiert an vorderster Front? Da bekommt man die meisten Wunden ab.

Meines Erachtens ist es absolut nötig, so negative Erfahrungen (auch im Nachhinein) noch mit den Gastfamilien oder gegebenenfalls auch mit den Austauschschülern aufzuarbeiten. Aber das überschreiet wieder die Grenzen des Ehrenamtes. Dafür bräuchte es professionelles und bezahltes Personal, was aber den Austausch wieder teurer machen würde.

Für mich ist das Thema Austausch damit natürlich abgeschlossen.

Dennoch … wir haben uns aus unserer Komfortzone herausgewagt. Das erfordert Mut. Wir haben Unglaubliches geleistet und hatten das „größte und intensivste“ Ehrenamt.

Ich hoffe, dass ich mit diesen Zeilen auch anderen helfen kann, die sich auch in einer Zwickmühle der Gefühle befinden oder die sich einfach unverstanden und allein in ihrer Situation fühlen. Denn irgendwie fühlt man sich ja auch so, als ob man „selbst so dumm“ war einen Gastschüler aufzunehmen. Andere hätten das ja von Anfang an schon nicht getan, und hätten es ja vielleicht besser gewusst. Man wollte etwas Gutes tun und ist damit auf die Nase gefallen. Man hat sich aus seiner Komfortzone herausgewagt. Das birgt natürlich Risiken.

Ich denke, es ist auch wichtig und richtig, Grenzen zu setzen. Man muss sich nicht alles gefallen lassen, nicht von einem Gastschüler, nicht von der Mutter oder Familie eines Gastschülers. Man muss sein eigenes emotionales Leben schützen, um am Ende nicht selbst so belastet zu sein, dass man zu einer Belastung wird !!! Man muss nicht immer „durchalten“ und „zu viel ertragen“ - auch wenn es einem schwerfällt, einen jungen Menschen abzulehnen und man selbst gerne ein Erfolgserlebnis verbucht hätte. Ein Erfolg kann es nur werden, wenn BEIDE Seiten sich bemühen. Es beruht auf Gegenseitigkeit. Man muss nicht in einer ungesunden „Beziehung“ bleiben.

Ich kann nur raten, dass man die eigenen Warnsignale rechtzeitig wahrnimmt und danach handelt. Man sollte seiner Intuition und seinem Körper mehr Vertrauen schenken und mehr darauf hören. Die eigene Gesundheit ist wichtiger als das Mitgefühl mit einem jungen Gastschüler (der sich nicht zu benehmen weiß / sich nicht benehmen will).

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Hallo liebe Blume1,
es tut mir leid, dass ihr solch eine Erfahrung machen musstet.
Wir haben nach der ersten, teils guten, teils schlechten, Aufnahme pausiert und dann wieder aufgenommen. Dieses Kind war leider nicht gut für einen Austausch geeignet und hatte eine Mutter, die es nicht wrklich loslassen konnte.
Haben nochmal, diesmal länger, pausiert, da das für alle sehr anstrengend war. Das dritte Austauschkind war Stipendiatin, hätte dies jedoch nicht nötig gehabt. Sie wollte nicht wirklich in einer Gastfamilie sein, war irgendwie wie auf der Flucht und es gab auch ein problematisches Essverhalten. Dieses ATJ wurde wg Corona vorzeitig beendet und wir haben wieder pausiert.
Das Verhältnis zum nächsten Gastkind war dann so, wie es in den Prospekten, Insta, Tiktop beschrieben wird und, so dass auch wir profitiert haben und es sich wie ein eigenes Kind anfühlte.
Wir wollten dieses Thema zu einem positiven Abschluss bringen und nehmen nun nicht mehr auf. Zu drei der vier haben wir noch gelegentlich Kontakt.
Es wird nicht repräsentativ sein: ca. 50 % Erfolgsquote. Ich möchte meine Erfahrungen niederschreiben, da in diesem Forum so viel über schlechte Gastfamilien (meist in den USA) geschrieben wird. Die z.B. ihre ATS nicht mit in den Urlaub nehmen.
Wir planen unsere Urlaube z.T. sehr früh und z.T. nicht in den Schulferien, dadurch war es nicht immer möglich, alle überall hin mitzunehmen. Oft wussten wir zum Zeitpunkt der Planung nicht, dass wir wieder aufnehmen werden. Viele ATS verhalten sich desinteressiert bei Ausflügen, daher haben wir nach der ersten Aufnahme nur noch Ausflüge angeboten, die wir auch ohne den Schüler unternommen hätten. Viele Schüler erwarten, dass man vieles, auch bei Ausflügen, für sie zahlt, obwohl man keine Entschädigung erhält und eigentlich nur Bett plus drei Mahlzeiten gestellt werden muss. Wenn es mit dem Schüler gut klappt, mache ich das gerne.
Bei der Vorbereitung wird von unserer Organisation betont, wie hoch die Energiekosten in Deutschland sind und, dass die Schüler sich sparsam verhalten sollen. Hat jedoch kaum jemand getan: es wurde zum Fenster herausgeheizt etc.

Konsequenz für uns: zu Beginn oder am besten im Vorabtelefonat haben wir klar unsere Erwartungen kommuniziert.
Wenn es nicht geht, würde ich auf die Organisation zugehen, und zwar ohne Kompromisse. Die Verwaltung der Organisation sitzt nicht an vorderster Front. Sie können sich nicht vorstellen, wie sich die Situation anfühlt.
Aber das mussten wir erst lernen

Hallo liebe krimskramsbiene,

vielen Dank für deine Antwort.

Ich finde es wirklich mutig, dass ihr so viele Austauschschüler aufgenommen habt. Es ist auch schön, dass ihr es noch zu einem guten Abschluss bringen konntet und so den Schüleraustausch in guter Erinnerung behalten könnt.

Ich brauche tatsächlich noch eine gute Weile, um diesen Austausch zu verdauen.

Ja, wir waren tatsächlich sehr engagiert. Wir haben unseren Urlaub von Anfang an so geplant, dass unser Gastschüler hätte mitkommen können. Wir hatten sogar ein Zimmer mehr in der Ferienwohnung gebucht. Von unserem Ferienort aus, hätte er gut mit dem Zug zu seinem Abschlusstreffen in Berlin kommen können und hätte somit eine weniger weite Anreise nach Berlin als von uns aus gehabt. Zudem hat eine langjährige Freundin von mir unseren Gastschüler in den Ferien ein paar Tage aufgenommen und Ausflüge organisiert, damit er eine andere Ecke von Deutschland kennenlernen konnte. Es waren alle sehr engagiert. Einfach schade, dass wir keinen Schüler bekommen haben, der dies zu schätzen wusste.

Aber ich glaube, wenn jemand sein Profil fälscht, kann einfach nichts draus werden!!!

In seinem Profil stand z.B., dass er „keine Essenseinschränkungen“ hätte. Tatsächlich war seine EssensIDIOLOGIE aber ein sehr großes Problem. Er wollte nur „high-protein“ essen. Nachdem wir das eine Weile mitgemacht haben, wollten wir aber nicht mehr Nüsse, Samen, Lachs, unzählige Liter von Milch … in rauen Mengen für ihn einkaufen. Also haben wir ihm irgendwann kommuniziert, dass er alles ganz normal mitessen kann, wir aber seine „high protein-Ernährung“ nicht mehr zahlen würden. Davon abgesehen, konnte ich diese extreme „high-protein-Ernährung“ auch aus gesundheitlichen Gründen nicht unterstützen. Ich habe mal versucht, den Gastschüler darauf anzusprechen und habe ihn gefragt, ob er seine Ernährungsweise mal hinterfragt hätte. Wie auch immer … Die „high-protein-Produkte“ hätte er dann selbst dazukaufen müssen. (Das war dann schon gegen Ende seines Aufenthaltes bei uns als wir eigentlich schon angefordert hatten, dass er die Familie verlässt.) Daraufhin hat er kaum noch etwas bei uns mitgegessen, was ich dann aber auch besorgniserregend fand. Als ich den Mülleimer des Gastschülers nach dem Verlassen unserer Familie ausleerte, war dieser gefüllt mit Unmengen von Verpackungen von „high-protein-Riegeln“. Das war dann scheinbar seine bevorzugte Ernährung. Ich konnte es nicht glauben. Im Bewerbungsprofil stand jedoch „KEINE ESSENSEINSCHRÄNKUNGEN“!!! Gut, er hat ja nicht lange von Proteinriegeln bei uns gelebt. Wie auch immer … es war einfach gut, dass er dann gegangen ist. Dafür wollte ich dann irgendwie auch nicht mehr verantwortlich sein.

Ich weiß nicht, vielleicht muss man das auch miterlebt haben, um sich wirklich ein Bild davon machen zu können. Wir haben unseren Gastschüler ja kaum zu Gesicht bekommen. Morgens (vor der Schule) als wir noch ruhig und verschlafen mit unserem Kaffee am Frühstückstisch saßen, kam er dann regemäßig in großer Eile heruntergerannt, verursachte einen großen Wirbel, riss alle Möglichen Vorratsboxen auf, um an seine Nüsse und Samen zu kommen, schüttete sie sich mengenweise in seine Frühstücksbox, riss mir die Erdnussbutter (high-protein) vor der Nase weg, so dass ich mein Brot vorerst nicht bestreichen konnte, stopfte sein Frühstücksbrot in sich rein und verschwand dann auch bald zum Bus. Ich habe mir dann irgendwann immer schon im Voraus schnell alle Brote bestrichen, weil ich wusste, dass mir Honig und Erdnussbutter vor der Nase weggerissen werden, sobald der Gastschüler unten erscheint. (Oje … fast schon zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre.) Und das war jeden Morgen einer der wenigen Kontaktmomente mit dem Austauschschüler. Wenn ich an ihn denke, dann bleibt diese Erinnerung zurück. Positive gemeinsame Erinnerungsmomente gab es ja fast gar nicht, weil wir ihn sonst fast nicht gesehen haben. Durch die ständige Wiederholung dieses Vorgangs ist es nun auch gut im Gedächtnis verankert …

Es sind einfach viele negative GEFÜHLE im Kontakt mit dem Austauschschüler und seiner Mutter entstanden.

Es kamen einfach auch noch viele andere Dinge dazu: z.B. Oma hatte Pralinen gekauft, die im Süßigkeitenfach lagen. Dann „erschwischte“ ihn die Oma dabei, wie er viele Pralinen heimlich in seiner Hosentasche versteckte. Ein anderes Mal erwischte ihn unsere Tochter dabei. Prinzipiell verhielt er sich absolut „maßlos“ und nahm sich, was er wollte, in großen Mengen. Überhaupt ist „Maßlosigket“ wohl einer der Begriffe, die mir in Verbindung mit ihm dauerhaft im Kopf geblieben sind.

Ich hatte auch den Eindruck, dass es von der Organisation her nicht ausreichend gut geregelt war, wer was zahlt. Auf jeden Fall ist es aber so angedacht, dass sich die Schüler den Essengewohnheiten der Familie im Großen und Ganzen anpassen. Diese Extras (Nüsse, Samen, unzählige Liter von Milch, …) gehören definitiv nicht mit ins Programm.

Aber wie das mit dem Zahlen von Eintrittsgeldern bei Ausflügen ist, das ist scheinbar nicht gut genug geregelt. Ich habe versucht zu schauen, wie viel Taschengeld der Austauschschüler zur Verfügung hat und das zu berücksichtigen. (Das Geld hatte er ja sowieso nur, weil ich die Förderung für ihn beantragt habe.)

Das mit der Förderung war allerdings auch noch eine riesige Geschichte. Eigentlich hätte die Mutter des Gastschülers die Förderung beantragen müssen. Letztendlich habe aber ich Stunden damit verbracht, dafür zu sorgen, dass der Gastschüler ein Taschengeld bekommt. Daraufhin wurde das Taschengeld für die ersten drei Monate nachträglich an uns überwiesen. Der vierte Monat ging jedoch wieder an die Mutter des Gastschülers (wie es eigentlich auch üblich ist), aber die Mutter hat dann natürlich das Geld einkassiert und unser Gastschüler stand wieder ohne Taschengeld da. Ich musste erneut Zeit investieren, damit das Taschengeld an uns ging und ich es dem Gastschüler aushändigen konnte. Es war einfach nur zeitaufwendig, unnötig und wäre eigentlich nicht unsere Aufgabe gewesen !!!

Dennoch, ich denke, wenn man öfters Gastkinder aufnimmt, weiß man auch genauer, was einen erwartet und welches Verhalten man als absolut intolerant empfindet. Dadurch wird es wahrscheinlich leichter, von Anfang an Grenzen besser zu kommunizieren. Für mich hat es eine Weile gebraucht zu merken, wie sehr mich die Grenzüberschreitungen … der anderen Familie gestört haben. Es war eine Steigerung von „Es ist ist unangenehm.“ - „Es stört mich.“ - „Es nervt mich.“ - „Ich komme damit nicht klar.“ - „Ich flippe bald aus.“ - „Ich flippe aus.“ Wenn man geübter im Umgang mit Gastkindern ist, fängt man wahrscheinlich schon beim „Es ist unangenehm.“ an, klarer seine Grenzen zu kommunizieren.

Ich kann mir nicht vorstellen, langfristig noch einmal an so einem Austausch teilzunehmen, obwohl ich auch gerne ein positives Erlebnis hätte. Vielleicht werde ich mal wieder für einen weniger langen Zeitraum (z.B. 3 Wochen) jemanden im Rahmen eines Schüleraustausches aufnehmen. Ich brauche erst mal wieder neuen Mut für so etwas.

Liebe Grüße, BLUME

Liebe Blume,
ich kann Deine Erschöpfung, was das Thema angeht, gut verstehen.
Was die kurzfristigen Austausche betrifft, bitte bedenke: das ist kaum mit Schulbesuch/ Alltag verbunden. Wenn jemand keine Lust auf die Familie hat, kann er sich für einen kurzen Zeitraum, komplett abgrenzen. Oder alles mögliche Andere, man ist ja bald wieder weg.
Wir hatten so etwas bei einem 14tägigen Schulaustausch, kurz bevor unser ersten langfristiges Austauschkind kam.
Auf so etwas hätten wir uns nie wieder eingelassen. Ich weiß nicht, warum man das überhaupt Austausch nennt, es war wirklich ein reiner Urlaub mit täglichem Ausflugsprogramm. An einem einzigen Tag (!) gab es einen Unterrichtsbesuch.
Eine gute Zeit weiterhin und liebe Grüße

Liebe krimskramsbiene,

ich bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass so ein Schüleraustausch in erster Linie den Sinn hat, positive Beziehungen und Emotionen zwischen zwei Ländern zu fördern.

(Wobei unser Gastschüler wohl auch nicht repräsentativ für sein Land war. Er hat mehr als 1x erwähnt, dass er für seine Landsleute „seltsam“ wäre. Wahrscheinlich war er das Erziehungsprodukt einer Mutter, die ihn durch das Homeschooling nach ihrem Willen formen und beeinflussen konnte.)

Wie auch immer …

Die Förderung von positiven Emotionen ist für mich tatsächlich auch bei einem kürzeren Austausch gegeben. Ich habe in meiner Jugend an mehreren kürzeren Aufenthalten im Ausland teilgenommen. Allerdings waren wir in Familien untergebracht und nicht nur auf Ausflügen unterwegs. Wir waren in der Schule mit dabei. Ich habe diese Auslandaufenthalte bis heute in guter Erinnerung und auch noch ca. 30 Jahre später kommen viele positive Emotionen hoch, wenn ich Bilder der Länder sehe, oft packt mich direkt eine Sehnsucht nach den Ländern.

Aber natürlich ist es bei einem kurzen Austausch so, dass man in der „honeymoon-Phase“ kommt und auch in der „honeymonn-Phase“ wieder geht. So erlebt man nur den Teil vom Austausch, wo sich alle noch freuen, sich alle noch kennenlernen. Es ist wahrscheinlich mit dem „verliebt sein“ zu vergleichen, wo negative Aspekte noch vollkommen ausgeblendet sind.

Bei einem längeren Austausch geht es, wie wir festgestellt haben, dann an die Substanz. Es kommen WERTUNTERSCHIEDE zum Vorschein. Ein längerer Austausch ermöglicht dem Schüler, die andere Kultur und vor allem andere Menschen sehr gut kennenzulernen. Diesen ganz speziellen Bereich, die Familie, mögen viele Menschen nicht öffnen. Man erlaubt einem anderen Menschen, ganz nah an sich und seine Familie heranzukommen. Dabei lernt man sich selbst und die andere Person besser kennen. Dennoch können extreme WERTUNTERSCHIEDE die Beziehung sehr belasten, wie wir festgestellt haben und zu Bruch bringen. Während man als Jugendlicher noch flexibler ist, haben sich die eigenen Werte im Erwachsenenalter eher gefestigt.

Ich konnte mit den Werten der Mutter und den Werten ihres Sohnes nicht leben. Aber das heißt ja nicht, dass der Schüler in einer anderen Familie mit ähnlichen Werten gut zurechtgekommen wäre.

Ja, nun ist es vorbei und es ist gut so :slight_smile: !!! Ob ich diesen Bereich, diesen „Juwel“ Familie noch einmal für jemanden öffnen möchte … nun ja, im Moment kann ich da nicht mehr ran. Es ist zu viel Unfrieden in unserem sonst größtenteils harmonischen Familienleben entstanden.

Ich wünsche dir auch ein gutes, neues und gesundes neues Jahr :slight_smile: !!!

LG BLUME

Für Euch auch schöne Weihnachten und ein gesundes neues Jahr!