Hallo Sumsum,
Dass Du eine Gastfamilie bekommen hast, die so gar nicht deinen Vorstellungen entspricht, ist schade. Ich kann dir dazu nur folgendes raten: Denk positiv! Seh nicht das schlechte, sondern die guten Seiten!
Jeder Betreuer, der eine Gastfamilie überprüft, sollte auch überlegen, ob diese finanziell in der Lage ist, einen Schüler aufzunehmen. Allein die Tatsache, dass die Familie ihr Haus noch nicht vollständig abbezahlt hat, ist wohl kein Grund, eine Gastfamilie abzulehnen. Meine Eltern zahlen ihr Haus auch noch ab und könnten trotzdem einen Austauschschüler versorgen.
Dass die Zimmer nicht ordentlich sind, ist eine andere Sache. Aber du sagst ja schon selbst, dass in Amerika eine andere Kultur herrscht. Du wirst häufig solche Häuser sehen, wie das deiner Gastfamilie. Amerikaner sind da einfach “relaxter”, Gäste stören sich nicht daran, und der Gastgeber entschuldigt sich einfach für das Chaos. Sache gegessen. (“Sorry for the mess” ist etwas, was in den USA nahezu floskelhaft wie bei uns “Wie geht’s?” verwendet wird!)
Als Deutscher würdest du, sagst du, einem zukünftigen Gastschüler nur Fotos schicken, auf denen die Räume picobello sind. Die Amerikaner (und auch andere Kulturen) haben da einen anderen Standpunkt: sie sind offen, ehrlich und geradeheraus - sie zeigen dir wie sie wirklich sind, und nicht, wie sie - aufgrund von Werten und Normen in der Gesellschaft - besser sein sollten.
Wenn dir deine Gastfamilie also ein solches Foto schickt, zeigt sie dir damit doch auch, dass du als Familienmitglied willkommen bist und sie dich so kennenlernen und sich dir so zeigen möchten, wie es in der Realität auch ist! Überleg mal, ein solches Foto würdest DU wahrscheinlich deiner besten Freundin zeigen, sonst aber niemandem. Du hast also eine wirklich nette Gastfamilie, die dich aus aufrichtigem Interesse aufnimmt und ehrlich ist - mit ihr kannst du also eine echte Verbindung aufbauen und daher ein tolles Jahr verbringen!
Außerdem: Deine Familie fragt dich sogar nach deinen Vorlieben, ob du ein eigenes Zimmer möchtest - dass sie extra für dich umbauen und einrichten! - oder lieber mehr Familienkontakt und dir mit deiner Gastschwester ein Zimmer teilen. Dass du die Zimmer als “Löcher” bezeichnest wundert mich einerseits, andererseits nicht. Wenn du dich mal näher mit den USA auseinandersetzt, wirst du merken, dass ALLE Teenies ein solches Zimmer - auch gern im Keller und ohne Fenster - haben. Dein Zimmer in den USA ist dein BEDROOM. Du verbringst dort keine Zeit, außer 9 Stunden darin zu schlafen und dich darin anzuziehen. Mit Freunden wirst du im Wohnzimmer sitzen, und Schreibtische hat niemand im Zimmer - Hausaufgaben machst du also am Familientisch! Insofern ist es wirklich nicht entscheidend, wie dein Zimmer ist. Wenn es klein ist, ist dafür also der Rest des Hauses größer, indem du deutlich mehr Zeit verbringst.
Ich selbst hatte übrigens auch ein 7m² großes Zimmer, indem nur Bett, Kommode und Schrank untergebracht waren. Hat mich nie gestört, weil ich sowieso so viel unterwegs war (von 8 bis 6 in der Schule, dann Abendbrotessen und Hausaufgaben machen, gemeinsam mit dem Rest der Familie Fernsehen und dann schlafen). Man hat also auch von einem riesigen Zimmer nichts.
Du solltest dich schon jetzt daran gedanklich gewöhnen, dass in den USA alles anders ist und auch kulturell andere Werte bestehen. Das ist aber nicht schlecht oder schlimm, es ist einfach ANDERS. Nach dem Jahr wirst du Deutschland als unfreundlich, laut, langweilig, ketzerisch und ungezügelt empfinden.
Auf die Statistik würde ich nichts geben. Aus dreiei Gründen:
- Erstens, “Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast”.
- Zweitens: Think positive! Es ist nicht die kriminellste Stadt!
- Drittens: Und selbst wenn es die kriminellste Stadt wäre: Mit der Kriminalität wirst du nichts zu tun haben. Ich erkläre dir gern, warum:
Wahrscheinlich hast du schon einige amerikanische Filme gesehen, die in der High School spielen. Ganz typisch siehst du da die “Grüppchenbildung” (Cheerleader, Sportler, Streber, Musiker, Bad-Guys,…). Ganz so extrem, wie in den Filmen dargestellt, ist das natürlich nicht. Fakt ist aber, dass es immer zwei Gruppierungen gibt: good guys und bad guys. Die bad guys sind die, die keiner mag, weil sie kriminell sind, die Schule schwänzen, trinken, Drogen nehmen und in jeder Hinsicht für den Amerikaner den Teufel verkörpern. Mit diesen Leuten möchtest du nichts zu tun haben, weil sie im Regelfall keine guten Freunde sind, deine Gastmutter dir nicht erlauben wird, dass du dich mit denen triffst, und sobald du mit denen was zu tun hast, bei allen AUTOMATISCH unten durch bist, ohne, dass du was böses machst.
Da du dich also von diesen Leuten fernhältst, hast du nichts mit der Kriminalität zu tun. Du wirst nette Freunde haben und eine Gastfamilie, die dich - wie ne 7jährige - rund um die Uhr betreut. Alleine wirst du Abends nie rausgehen, und den Tag über bist du in der Schule - also kann dir auch nichts passieren.
Diese Zweifel und die Unzufriedenheit, die du hast, ist nicht ungewöhnlich, ich hatte das auch, aber am Ende ist alles gut!
An deiner Stelle würde ich das erst mal von der positiven Seite sehen und zu dieser Familie auf jeden Fall hingehen. Wenn es dir dann immer noch nicht gefällt, kannst du immer noch wechseln.
Es wäre nur ärgerlich, wenn du dich jetzt so lange auf ein Jahr in den USA gefreut hast, und das dann nicht klappt, weil du diese Familie jetzt ablehnst und keine neue gefunden wird. Ich garantiere dir, dass du, wenn du in den USA bist, wesentlich schneller eine neue Familie findest, als von hier aus.
Was ich dir davon abgesehen noch mit auf den Weg geben möchte, ist die Geschichte von Johanna. Johanna wollte im gleichen Jahr wie ich in die USA reisen, und als sie ihre Gastfamilie bekommen hat, war sie ähnlich unzufrieden wie du. Sie hat sich geweigert, so in den Flieger zu steigen, geschweige denn zu der Familie zu gehen; und hat einen Aufstand sondergleichen bereitet. Ihre Organisation hat sich davon aber nicht beeindrucken lassen und ist von dem Placement nicht abgerückt. Wir alle haben damals Johanna gut zugeredet und letzlich hat sie sich dann auch - etwas widerwillig - bereit erklärt, es mit der Familie zu versuchen.
Zufällig wurde ich dann im Nebenort (6 Meilen weg) platziert und wir haben uns während des Jahres mehrfach getroffen.
Ich kann dir sagen, dass sie es definitiv bereut hätte, nicht zu der Familie gegangen zu sein - sie hatte ein super Jahr dort und hat die Familie auch nicht gewechselt! Die sind trotz Startschwierigkeiten ein Herz und eine Seele geworden.
Die Geschichte können dir Kirsten und Martin bestimmt nochmal bestätigen.
Ich hoffe, ich konnte dich ein bisschen beruhigen. Es wird alles super, versprochen - wenn du es nur willst!
Du hast uns übrigens noch gar nicht verraten, wohin es geht? Staat? Ort? Mit welcher Orga?
Liebe Grüße,
Wiebke