Auch Realschüler zieht es ins Ausland

Auch Realschüler zieht es ins Ausland Bildung: Auch Realschüler zieht es ins Ausland - WELT
An der Realschule im schleswig-holsteinischen Niebüll motivieren Lehrer aktiv ihre Schüler, ein Jahr im Ausland zu verbringen. Momentan nutzen diese Chance nur fünf Prozent der Realschüler. Doch nicht nur die Schüler selbst zweifeln an ihren Fähigkeiten dazu.
Oke Albrecht hatte seinen Realschulabschluss in der Tasche und wollte raus. Raus aus Norddeutschland, weg vom elterlichen Bauernhof, rein in die weite Welt. Amerika sollte es sein, am liebsten Kalifornien, per Schüleraustausch und für ein ganzes Jahr. Vorgemacht hatte es ihm seine Zwillingsschwester Thoma. Damals 16-jährig, war sie sofort nach dem Abschluss der Realschule Niebüll nach Kentucky aufgebrochen, ein Jahr geblieben, und begeistert zurückgekehrt. Viel Sport, viele neue Freunde und nur ganz wenig Hausaufgaben. „Schule dort war wirklich nicht schwer, eher so wie bei uns in der achten Klasse“, lacht Thoma.

Oke war weniger mutig, wechselte zunächst auf das Fachgymnasium, nach der elften Klasse packte aber auch er seine Sachen. „Ein mulmiges Gefühl hatte ich trotzdem, vor allem weil ich dachte, es wird mir vielleicht zu lang“, erinnert er sich. Aber das Jahr habe ihm gut getan, „ich bin viel selbstbewusster geworden und hatte eine echt fantastische Zeit“, sagt der mittlerweile 19-jährige Zwölftklässler: Eine nette Gastfamilie in Arizona, Ausflüge nach Washington und Kalifornien, gekrönt von einem zehntätigem Urlaub auf Hawaii. Auch Oke hat Amerika nicht bereut.

Eine Auslandsförderung an deutschen Haupt- und Realschulen ist die Ausnahme
Auf die Idee für den Austausch kam Schwester Thoma damals aber nur, weil ihre Realschule sie auf den USA-Aufenthalt aufmerksam machte. Die Schule fördert das Interesse am Auslandsjahr, zunächst mit Flyern und Infoveranstaltungen, dann auch persönlich in den Klassenzimmern. „Die Englischlehrer sprechen im Unterricht über die Austauschprogramme, vermitteln Wissen über das amerikanische Schulsystem“, erklärt der stellvertretende Schulleiter Hans-Ferdinand Sönnichsen und erstellt bei Bedarf für den Austausch nötige Gutachten.
Eine solche Förderung ist an deutschen Real- und Hauptschulen die Ausnahme. „Außerhalb des Gymnasiums wird ein Austausch bislang eher über private Mund-zu-Mund-Propaganda vermittelt “, erklärt Sönnichsen. „Wenn jemand aus dem weiteren Bekanntenkreis das Wagnis Jahresaustausch auf sich genommen hat, fällt die Entscheidung eher.“ Mit dem Ergebnis, dass sich bei den einschlägigen Organisationen fast ausschließlich Gymnasiasten bewerben. „Die Quote an Realschülern bei den einjährigen Austauschen liegt bei uns bei etwa fünf Prozent, die der Hauptschüler bei Null“, sagt Knut Möller, Geschäftsführer der Austauschorganisation Youth for Understanding (YFU) und Sprecher des Arbeitskreises gemeinnütziger Jugendaustauschorganisationen (AJA).

„Es kann nicht an der Finanzierung liegen“
1200 Schüler zwischen 15 und 18 Jahren verschickt YFU jedes Jahr in die verschiedensten Länder. „Wir wären begeistert, wenn sich mehr – vielmehr überhaupt – Hauptschüler bei uns bewerben würden“, sagt Möller. YFU werbe zwar aktiv auch an den Hauptschulen, ein mit knapp 700.000 Euro gut gefüllter Stipendientopf stünde bereit und dennoch: „Die Rücklaufquote liegt bei Null“, beklagt der YFU-Mann. „Es kann nicht an der Finanzierung liegen.“ Ein Jahr USA, wie Oke und Thoma es hinter sich haben, kostet bei YFU 6400 Euro. Teilstipendien bis 4400 Euro stünden für die Teilnehmer zur Verfügung, „in absoluten Härtefällen gewähren wir sogar Stipendien, die fast den gesamten Programmpreis decken“, sagt Möller. Das Programm sei so flexibel angelegt, dass auch junge Schüler direkt nach dem Hauptschulabschluss teilnehmen könnten. Und auch das Auswahlverfahren siebe Schüler mit geringerem Bildungsniveau nicht aus. „In den Gesprächen kommt es darauf an, dass die zukünftigen Teilnehmer soziale Kompetenz zeigen“, erklärt er. Viel mehr als auf den Notendurchschnitt würde darauf geachtet, ob und wie sich ein Schüler in ein neues Umfeld integrieren könne und ob er stabil genug sei, ein Jahr durchzuhalten. „Die Jugendlichen sollen in einer Familie funktionieren und auch wachsen können“, fordert Möller.
Genau das traut Heinz Wagner, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), den Hauptschülern nicht zu, erklärt damit ihr Fehlen bei den Austauschprogrammen. „Schon bei einwöchigen Fahrten haben die begleitenden Lehrer häufig Sorge, dass sich die Schüler nicht als ordentliche Repräsentanten ihres Landes zeigen“, sagt Wagner. Hinzu kämen meist noch kulturell-religiöse Probleme. „Wenn schon bei Klassenfahrten ein Drittel der Schüler nicht teilnehmen darf, weil es die Eltern verbieten, ist ein langfristiger Aufenthalt meist völlig ausgeschlossen“, klagt Wagner. Ein fehlender deutscher Pass mache vieles noch komplizierter, ebenso wie mangelnde Kompetenz in der Fremdsprache.
„Haupt- und Realschüler dürfen nicht weiter von internationaler Bildung und dem Austausch ausgeschlossen bleiben“, fordert Andreas Saerbeck, Mitinitiator des Projekts „Haupt- und Realschüler International“ des Studentenforums im Tönissteiner Kreis. Die Gruppe arbeitet an einem speziell zugeschnittenen Motivations- und Auslandsprogramm. Grundlage dafür ist eine Umfrage unter Hauptschülern: Viele Befragte geben dort an, dass es vor allem die Angst vor dem Zurückbleiben im Wettbewerb um einen Ausbildungsplatz sei, die schwierige Rückkehr in den Freundeskreis und tatsächlich auch fehlende Vokabeln.

„Es fehlt jemand, der an einen glaubt“
„Ich würde diesen Jugendlichen so gern sagen, dass ihre Bedenken grundlos sind“, sagt Birte Marquardsen. Sie spricht aus Erfahrung, hat selber in einem kleinen Dorf nahe der dänischen Grenze die Hauptschule besucht und später ein Austauschjahr in Brasilien verbracht. Mit nicht viel mehr Kenntnissen auf Portugiesisch als „Hallo“ und „Danke“. „Was in der Hauptschule oft fehlt, ist jemand, der einem das Gefühl gibt, dass man etwas schaffen kann. Der an einen glaubt“, beschreibt die 26-Jährige. Viele Kinder in der Hauptschule würden nicht ermutigt, sich Bildung anzueignen.
Viel mehr stünde der „Kampf ums Überleben, eine solide Berufsausbildung, die das Einkommen sichert“ im Vordergrund. Sie fragten sich, was sie anfangen sollen, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. „Man muss den Schülern begreiflich machen, dass sie durch ein Austauschjahr mehr erreichen können, als die Sicherung eines Ausbildungsplatzes. Es ist eine Chance, die eigenen Talente zu finden.“ Sie sagt es mit Nachdruck und kann es auch. Birte Marquardsen hat nicht nur ein Jahr in Brasilien verbracht, den Realschulabschluss und das Abitur nachgeholt. Heute studiert sie – Bildungsmanagement an der Technischen Universität in Berlin.

[SIZE=„1“]Quelle: WELT ONLINE, 18. Feb. 2008[/SIZE]

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Das ist ein sehr schöner Artikel, der es auf den Punkt bringt!

Ich möchte auch alle dazu ermutigen, einen Auslandsaufenthalt zu machen!!! Ich habe selbst den Hauptschulabschluss gemacht und war nach der Berfusfachschule (Mittlere Reife) für ein Schuljahr in Amerika.
Mittlerweile habe ich mein Abitur nachgeholt und werde in knapp 2 Monaten weitere fünf Monate als AuPair in Dänemark verbringen!
Verlorene Jahre bzw. verlorene Zeit war das auf keinen Fall. Für mich war es eine ganz besondere Erfahrung, die mir für meine persönliche Weiterentwicklung sehr viel gebracht hat. :cool:

Leider weiß ich nur zu gut, dass an Haupt- und selbst an Realschulen Auslandsaufenthalte kein großes Thema sind. Ich habe in den damaligen Schuljahren nur einen einzigen Prospekt in den Händen gehalten und das auch nur durch eine engagierte Englischlehrerin! Alles andere war Eigenrecherche, z. B. in der Stadtbücherei und im Internet.
Aber wenn Schüler keine Anregung dazu bekommen, dann können sie eben kein Interesse dafür ausbilden. Ein Weg auch andere Schüler für Auslandsaufenthalte zu gewinnen ist das “neue” Medium TV-Dokus, wie z. B. “Auf und Davon” und andere. Schade nur, dass die selten ein komplett realistisches Bild vom Austausch zeigen … reicht dennoch aus um das Fernweh anzuregen. :stuck_out_tongue:

An alle die den Schritt wagen: Viel Spaß und ein tolles Jahr!!!

Hallo,
ich muss mich Hardys Meinung anschließen.
Als Realschülerin entdeckte meine Tochter nur einen einzigen Info-Zettel einer AT-Organsiation am schwarzen Brett ihrer Schule.
Ein einziger Zettel!
Ein kurzer Moment in einer Pause entschied - ich sags jetzt mal bewusst so theatralisch - über ihr weiteres Leben.
Und das verläuft jetzt total anders als das der Zwillingsschwester (gleiche Schule, Parallelklasse), die diese Möglichkeit nicht aufgriff.
Durch diese Zwillingssituation habe ich den direkten Vergleich und das liefert schon aussagekräftige Vergleiche.
Hätte ich zu dem Zettel am Info-Brett nicht schon ein Jahr zuvor Prospekte anderer Oragnisationen an unsere Privatadresse schicken lassen, wäre möglicherweise dieser Zettel von meiner Tochter dort unbeachtet geblieben. Denn wer gibt Haupt-und Realschülern im Zusammenhang mit einem Auslandsaufenthalt schon das Gefühl: trau dich! wenn nicht von den Eltern schon mal die ersten Denkanstöße dazu geliefert werden?
Da ist ganz viel Nachholbedarf an den Schulen, damit Schüleraustausch nicht nur zum exklusiven Thema der Gymnasien wird.
Es wäre schön, wenn sich zukünftig Lehrer und Organsisationen darüber klar würden, welches Potential in Schülern aller Schulzweige steckt und wenn sie die Mauern in den Köpfen einreißen würden, dass Schüleraustausch vom Geldbeutel oder der Herkunft abhängt.
Bemerkenswert finde ich auch die Sorge der Haupt-und Realschüler, durch ein ATJ im Ranking um Ausbildungsplätze auf die hinteren Plätze katapultiert zu werden.
Da ist noch sehr viel Aufklärungsarbeit in den Schulen und AT-Organisationen von Nöten.

mit lieben Grüßen

Finchen-Uschi

Du hast Zwillinge? Ich auch :). Und bei uns war auch nur meine Tochter im ATJ, ihr Zwilingsbruder (Hauptschule) wollte nicht bzw. hat sich nie mit dem Thema befasst, weil es in der Schule auch nicht angesprochen wird.
Man merkt aber, dass er scheinbar doch neidisch drauf war, obwohl wir es ihm auch angeboten haben. Nun ist es zu spät!
Meine Tochter hat 2 Jahre nach ihrem ATJ mal einen Vortrag in der Haupt- und Realschule gehalten. Es waren viele interessierte Schüler dort, gefahren ist aber keiner, soweit ich weiss.
Nächstes Jahr möchte nun wohl ein Mädchen in ein ATJ gehen.
Wir haben die Direktorin damals gefragt, warum nicht mehr über die Möglichkeit in der Schule gesprochen wird und sie meinte, dass die meisten Eltern kein Geld dafür hätten. Das wirft die Frage auf: Gymnasium = reiche Eltern, Haupt- und Realschule = arme Eltern?
Vielleicht sollten mehr ehemalige ATS in Haupt- und Realschulen Vorträge über ihr ATJ und die Möglichkeit halten.

Viele Grüsse

Kirsten

Das ist oft leichter gesagt, als getan, da man gar nicht so leicht Zugang zu den Schulen erhält, wenn es dort keine Schüler oder Lehrer gibt, die dort mit einer Orga verbunden sind (durch eigene Erfahrungen).
Infoabende kann man meist nur dort durchführen, wo man eine Verbindung zu der Schule hat. Viele Schulen erlauben Infoabende nur, wenn sich mehrere Orgas dort vorstellen. Dafür braucht es wieder Kontakt zu anderen Orgas.
Ich glaube, dass sich einige Orgas da schon relativ viel Mühe geben, wie YFU (laut Artikel) und auch AFS (aus eigener Erfahrung).
Der Rücklauf ist leider gering und das ganze harte (und auch etwas frustrierende) Arbeit.
Aber vielleicht bringen wir hier ja ein paar gute Ideen zusammen…nächsten Monat geht es wieder los mit Infoabenden für die Winterabreise (zumindest in meinem Komitee).

LG

Wir haben damals gefragt, ob meine Tochter mal über die Möglichkeit und über ihr ATJ berichten soll. Es war während der Schulzeit und nur vor den Schülern. Das Klassenzimmer war gerammelt voll. Interesse ist also schon da!

Viele Grüsse

Kirsten

Hallo Kirsten,
deine Überlegung wegen der Schere: Gymnasium = reich , Hauptschule = arm ist gar nicht so verkehrt. Somit geht ein Löwenanteil der ATS aus Schulen mit höherem Bildungsniveau ins Ausland, das ist derzeit nicht wegzudiskutieren.

Stipendienvergabe ist Sache der Organsiationen und wer sich nicht in den Haupt-oder Realschulen blicken lässt, der fördert diesen Zustand unweigerlich.
Es wird noch viel Aufklärungsarbeit nötig sein, um das Vorurteil abzubauen, dass allein der Geldbeutel über ein ATJ entscheidet.
Aber das ein gut gefüllter Geldbeutel die Entscheidung für ein ATJ erleichtert, das weißt du so gut wie ich.
Der von dir angesprochene Artikel ist ein guter Aufhänger, um mal zu versuchen die, die Einfluss auf diese Entwicklung nehmen können, für die Sachen zu gewinnen.
Deine Überlegung, dass ehemalige ATS in ihren alten Schulen von ihren Erfahrungen berichten, kann ich deshalb gern mal aufgreifen.
Meine Tochter könnte mal ihrem früheren Schulleiter Kenntis von unserem Gedankenaustausch geben. Leider ist er ein so unsympathischer Knochen, dass ich wohl erst mal meine Tochter motivieren muss;)

mit lieben Grüßen

Finchen-Uschi

Wie vorhin schon gesagt, es ist nicht so leicht, sich an Schulen blicken zu lassen, wenn man keine Kontakte zur Schule hat. Die Direktoren weisen einen häufig ab, wenn man nicht selbst an der Schule war und Lehrer der Schule kennen.
Bemühungen sind da, zumindest von AFS schon seit Jahren, aber es ist leider nicht so einfach. Mittlerweile gibt es sogar einen Newsletter für Lehrer um die Zusammenarbeit zu verbessern, sowie Lehreraustausche. Real- und Hauptschüler, wenn welche sich bewerben, erhalten auf den Auswahlen normalerweise einen kleinen Bonus, da Diversität gefördert werden soll.
Stipendien sind eine tolle Sache, aber sie decken nunmal nicht alle Kosten. Wer kaum weiss, wie man seine Familie durchbringen soll, der hat auch bei einem Vollstip immer noch Probleme (Taschengeld, späterer Eintritt in die Arbeitswelt).
Ich denke, die Schulen müssen sich da auch viel mehr öffnen, Material auslegen, sich vielleicht auch an Orgas wenden (bei Unterstützung von Projekttagen z.b.) und den Kindern Mut machen.
Wir machen unsere Infoabende meist abends an einer Schule, damit auch Eltern mitkommen können und sich informieren. Alle umliegenden Schulen erhalten Flyer und Poster, wo sie ebenfalls eingeladen werden. Davon gibt es mehrere, immer an anderen Schulen, aber wie gesagt, nicht jede Schule erlaubt dies.

Eure Diskussion über die soziale Schichten der Schüler an den einzelnen Schulen halte ich ebenfalls für berechtigt! Leider hat Bildung in Deutschland etwas mit Vermögen zu tun … nicht zu letzt auch wegen der Dreigliedrigkeit des Schulsystems, das das ganze noch verschärft!

Ein weiteres Problem bei der Finanzierung ist eben, dass Real- und Hauptschüler nur auf Stipendien der Organisationen zurückgreifen können. Der Weg über das Bafög wird ihnen nämlich genzlich verwert!!!

Das Projekt „Haupt- und Realschüler International“ hat nun auch eine Homepage toenissteiner-studentenforum.de steht zum Verkauf

Wollen wir hoffen, dass die Initiative etwas bewegen kann. Ein wichtiger Punkt wäre, dass Haupt- und Realschüler auch Anspruch auf BAföG haben, sofern sie auch 6 Monate oder 1 ATJ im Ausland verbringen.

Viele Grüsse

Kirsten

In der Tat - ist das schon in der Diskussion oder war das jetzt nur eine Anmerkung von dir?
Dann werde ich die Seite mal ein bisschen publik machen.