Protokoll: Chat mit Annette Schavan und Ben Stotz, Sendung vom 29.11.2009, 21.45 Uhr
Nach der Sendung haben sich die beiden “Widersacher” im aktuellen Bildungsstreik, Bildungsministerin Annette Schavan und Ben Stotz vom Studierendenverband SDS, Ihren Fragen zum Thema “Wa(h)re Bildung - hast Du was, wirst Du was!” gestellt. Hier ist das Streitgespräch im Wortlaut zum Nachlesen.
Chat-Moderator: Bitte sagen Sie dazu, ob sich Ihre Frage an Frau Schavan oder Herrn Stotz richtet.
Xyz: Wie stellt sich Frau Schavan die Vergabe von Stipendien vor? Ich möchte nächstes Jahr ein Studium beginnen, bekomme kein BAföG und werde nach dem Studium erst einmal einen Haufen Schulden haben!
Annette Schavan: Zwei Möglichkeiten: Bewerbung bei einem Studienförderwerk, zum Beispiel Ebert-Stiftung, Böll-Stiftung, Adenauer-Stiftung, … Zweite Möglichkeit, hoffentlich ab dem Wintersemester 2010 Bewerbung bei der Universität im Rahmen eines bundesweiten Stipendienprogramms, das wir gerade aufbauen.
Wirtschaftsingenieur: Warum werden insbesondere Ingenieursstudiengänge nicht besonderes gefördert - schließlich herrscht in Deutschland ein Ingenieursmangel. An unserer Hochschule beenden sieben bis zehn Prozent eines Studienjahrgangs ihr Studium in der Regelzeit. Wer länger braucht, dem wird das Bafög danach gestrichen! Wie sollen diese Studenten weiter studieren?
Schavan: Seitens des Staates werden alle Studienfächer gleich behandelt. Allerdings vergeben viele Unternehmen Stipendien speziell für Technikwissenschaften. Bei wem das BAföG ausläuft, der kann sich um einen Studienkredit bemühen.
Awitte: Frau Schavan, wie kann man denn Ihrer Meinung nach ohne Schulden das Studium absolvieren?
Schavan: Rund 40 Prozent der Studierenden bekommen derzeit BAföG. Viele Eltern unterstützen ihre studierenden Kinder. Und viele haben Ferienjobs, so wie ich sie im Studium auch gehabt habe. Wenn der Satz stimmt, dass die beste Investition die in Bildung ist, dann ist der Kredit für Bildung auch eine gute Investition.
Ulrich: An Herrn Stotz, was sind die Ziele des Protestes?
Ben Stotz: Die Ziele des Bildungsstreiks sind die Probleme im Bildungssystem, von der Kita bis zur Uni, aufzuzeigen und Alternativen durchzusetzen. Uns geht es nicht um kleine kosmetische Korrekturen, sondern um einen grundsätzlichen Wandel im Bildungssystem. Wir wollen Bachelor und Master in der derzeitigen Form abschaffen und den Master als Regelabschluss verbindlich verankern, damit das Zwei-Klassen-System an Hochschulen endlich überwunden wird. Dafür machen wir weiter.
Manuela: Mich würde interessieren was Eltern machen sollen, die zwei oder gar mehr Kinder gleichzeitig ins Studium schicken. Nicht zuletzt dank G8.
Schavan: Das BAföG ist 2008 deutlich erhöht worden und wird im kommenden Jahr eine weitere Erhöhung erfahren. Damit wird auch der Kreis derer, die BAföG-berechtigt sind, größer. Zwölf Begabtenförderungswerke in Deutschland bieten Stipendien. Ein bundesweites Stipendienprogramm soll zum Wintersemester des kommenden Jahres aufgebaut werden. Ich vermute allerdings, dass bei drei Kindern im Studium eine BAföG- Förderung drin ist - es sei denn, es liegt ein ausgesprochen hohes Einkommen der Eltern vor.
Stotz: Solange zu wenige zu kurz ein viel zu geringes BAföG erhalten, Studiengebühren bestehen und mit anderen Bildungsbarrieren im Bachelorstudium Menschen vom Studium abgehalten werden, wird es sehr schwer sein, mehrere Kinder an die Uni zu schicken. Auch, weil die Einkommenssituation der Studierenden schwieriger wird, die neben dem Studium arbeiten müssen und Praktika machen müssen und nach dem Bachelor-Abschluss Angst haben müssen, keinen Arbeitsplatz zu finden. Die tiefe Wirtschaftskrise wird diese Probleme verschärfen.
kami: Sehr geehrte Frau Schavan, im Zuge der Stipendienreform ist vorgesehen, das Büchergeld/ elternunabhängiges Stipendium von derzeit 80 Euro auf 300 Euro zu erhöhen. Wenn man bedenkt, wie klein der Anteil der Stipendiaten ist, die aus nicht-akademischem Hintergrund kommen - betreibt die Bundesregierung hier nicht Klientelpolitik?
Schavan: Nein. Denn gleichzeitig bauen wir ein bundesweites Stipendienprogramm auf, das ebenfalls einkommensunabhängig ist und 300 Euro pro Monat vorsieht.
Kritik-Student: Frage an Frau Schavan: Bei welchen Hochschulen waren Sie zu Gast? Die scheinen mir in einem Paralleluniversum zu liegen…
Schavan: Es lebe das Vorurteil. Ganz im Ernst: FH Potsdam, Coburg, Geisenheim, Mittweida, etc.; Uni Konstanz, Heidelberg, Freiburg, Ulm etc.
Unzufriedener: Frau Schavan hat eben in der Sendung gesagt, dass die Studienzeit lediglich an den Standard in der Welt angepasst worden ist. Es wäre schön, wenn sie im gleichen Zug auch die Bildungsausgaben auf dasselbe Niveau angehoben hätte. Ein Blick in OECD-Statistiken zeigt leider, dass dies nicht umgesetzt wurde.
Schavan: Deshalb ist im Oktober 2008 auf meine Initiative hin beschlossen worden, künftig zehn Prozent in Bildung zu investieren, sieben Prozent für Bildung, drei Prozent für Forschung.
Stotz: Auch der jetzige Hochschulpakt ist stark unterfinanziert. Die zehn Prozent werden nur deswegen erreicht, weil das Bruttoinlandsprodukt durch die Wirtschaftskrise sinkt und gleichzeitig die Finanzminister neue Bildungs*ausgaben entdeckt haben, welche die Bilanz schönfärben. Diese Ausgaben sind keines geeignet, die doppelten Abiturjahrgänge in den nächsten Jahren aufzufangen.
Hammonia: Wie kann es sein, dass ein W2-Professor weniger verdient als ein Lehrer mit A13?
Schavan: W2 ist nach meiner Erinnerung die Bezahlung für einen Junior-Professor. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob frühere Bezahlungen in dieser Phase besser waren.
Manuela: Noch eine Frage an Frau Schavan: Wie soll das in 2013 in Nordrhein-Westfalen laufen, wenn zwei komplette Jahrgänge auf den Markt strömen. Wo doch jetzt schon alles überfüllt ist!
Schavan: Im Hochschulpakt ist vereinbart, dass 275.000 neue Studienplätze bis 2015 eingerichtet werden. Die Berechnungen sind unter Berücksichtigung doppelter Abiturjahrgänge erfolgt.
Gerald: Frau Minister, ich habe nur eine Frage. Wann wird Bildung endlich Bundeskompetenz und dieses ewige Hickhack zwischen 16 Bundesländern beendet, welches immer wieder viel, viel Geld kostet? Warum kann ein Lehrer in Sachsen-Anhalt studieren, dann aber nicht in Bayern seinen Beruf ausüben?
Schavan: Wer in Sachsen-Anhalt sein Examen macht, kann auch in Bayern seinen Beruf ausüben, das Grundgesetz besteht jetzt 60 Jahre und sieht die Kullturhoheit der Länder vor. Das wird auch so bleiben. Allerdings müssen die 16 Länder Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse und Studiengänge hinbekommen. Ansonsten wird er Föderalismus von niemandem mehr akzeptiert.
Chat-Moderator: Frau Schavan verabschiedet sich, Herr Stotz steht noch weiter zur Verfügung
Stotz: Dass der Bund in den letzten Jahren systematisch alle Kompetenzen an die Länder abgegeben hat, fällt nicht vom Himmel, sondern ist Ergebnis der Politik der Bildungsministerin. Wenn es nicht möglich sein soll, zum Beispiel Studiengebühren bundesweit zu verbieten und das Bologna-System zu reformieren, dann fragt man sich, was ist eigentlich der Geschäftsbereich der Bundesministerin.
Dittt: Warum bekennt sich niemand zu Eliten? Mir sind zehn Prozent gute Ärzte lieber als 40 Prozent schlechte. Das ist keine Frage des Geldes, sondern der Ehrlichkeit in unserer Gesellschaft!
Stotz: Die Studenten von heute sind keine privilegierte Elite von Morgen, sondern leiden unter dem Konkurrenzkampf der Exzellenz-Initiative und der Jagd nach Drittmitteln der Elite-Unis. In der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik sollten wir in der Tat so ehrlich sein.
moep: Sehr geehrter Herr Stotz, warum sind Sie der Meinung, dass der Bachelor-Studiengang schlecht ist? Ich studiere Physik und kann daher nur aus meiner Erfahrung reden, aber bei mir hat sich nicht viel geändert gegenüber dem Diplom. Die meisten meiner Kommilitonen haben nicht mehr Probleme als ältere, Diplom-Studenten.
Stotz: Der Bachelor ist oftmals kein berufsqualifizierender Abschluss. Die eigentlichen wissenschaftlichen Lehrinhalte folgen oft erst im Master. Daher ist es oft unumgänglich, dass alle Bachelor-Studierende einen verbindlichen Anspruch auf einen Master-Platz erhalten. Auch die angestrebte Praxis-Nähe und Reformvorschläge in den naturwissenschaftlichen Fächern sind durch die Bachelorisierung nicht verwirklicht worden.
Janila: Ben, warum hast du eigentlich nicht mal bei uns, die vor Beginn der Sendung vor dem Studio protestiert haben, vorbei geschaut? 
Stotz: Ich weiß, dass einige Studierende eine Aktion gegen Frau Schavan durchgeführt haben. Solche Aktionen sind wichtig. Es kommt darauf an, dass überall dort wo die politischen Verantwortlichen auftreten, der Protest sichtbar ist. Leider ließen es die straffen Sicherheitsbestimmungen der ARD nicht zu, die Aktion durch meine Präsenz zu unterstützen. Ich habe aber im Studio versucht, den Geist der Proteste nach innen zu tragen.
Bielefeld: Herr Stotz, denken Sie, dass die protestierenden Studenten und Schüler wirklich etwas bewirken können, wo sich doch die meisten Politiker wie Frau Schavan überhaupt nicht damit auseinandersetzen?
Stotz: Wenn sich etwas ändern soll, dann können wir uns nur selber helfen. Der Bildungsstreik zeigt: Protest wirkt. Auch die Bildungsministerin, die uns in der Tat ignoriert, spricht jetzt davon, das BAföG erhöhen zu wollen. Das ist ein erster Erfolg unseres Protests.
Chat-Moderator: Vielen Dank, liebe Chatter, für Ihre Fragen. Leider konnten auch diesmal nicht alle beantwortet werden, wir hoffen aber, dass Sie Ihre oder zumindest eine ähnliche Frage beantwortet gefunden haben. Für heute wünschen wir Ihnen eine gute Nacht, ob sie nun studieren oder nicht. Viel Erfolg bei den Prüfungen im und am Ende des Semesters. Für heute verabschieden wir uns, schlafen sie gut und kommen Sie gut in die neue Woche. Auf Wiedersehen bei der nächsten Sendung von ANNE WILL und dem nächsten ANNE-WILL-Chat.