Ich habe Bekannte / Verwandte in den USA und möchte dort ein ATJ machen. (Wie) Kann ich das selbst organisieren?

Wer Freunde, Bekannte oder Verwandte in den USA hat, für den liegt es vermutlich erstmal auf der Hand, dass man ein ATJ selbst organisieren möchte und bei diesen das ATJ verbringt.

Leider verbietet es das US-Recht jedoch, dass ATS bei Verwandten untergebracht werden.

Solange es sich nur um Freunde/Bekannte, aber keine Verwandten handelt, kommen diese also grundsätzlich als GF in Frage. Ist man mit der anvisierten GF verwandt, bleibt einem ㅡ da es rechtlich sehr bedenklich wäre, das Verwandtschaftsverhältnis zu verschweigen ㅡ nur die Option, mit der GF die Situation offen zu diskutieren, und darum zu bitten, dass diese sich im Freundes- & Bekanntenkreis, der Nachbarschaft, Schule und/oder Kirche umhört, und dort nach einer anderen, geeigneten Gastfamilie sucht.

Was den Punkt “Selbst-Organisieren” angeht, erscheint dies auf den ersten Blick wie erwähnt deutlich einfacher, als es tatsächlich ist.
Die größte Hürde bei der Selbstorganisation ist das Visum. Während man sich als deutscher Staatsbürger innerhalb des Schengen-Raums um kein Visum kümmern muss, bedarf es aber eines solchen für die USA.

In den USA gibt es für Austauschschüler zwei verschiedene Visa: Das J-1 & F-1 Visum. Das J-1 kann nur einmal im Leben ausgestellt werden und gilt für ein Jahr. Es ist der Visumstyp, den man regelmäßig beantragt, wenn man sein ATJ über eine Organisation plant. Das F-1 kann mehrmals und auch für längere Zeiträume beantragt werden. Es bietet sich daher z.B. für Schüler an, die für zwei Jahre auf ein Internat gehen, oder Studenten, die für mehrere Jahre ein College besuchen möchten.

Sowohl für das J-1 als auch F-1 bedarf es einer amerikanischen Institution, die die Unterlagen zur Visumsbeantragung ausstellt. Für das J-1 ist das der “program sponsor”, die Organisation. Die Unterlagen für das F-1 können von einer begrenzten Anzahl an Schulen, Colleges und Universitäten ausgestellt werden. Dabei gilt die Einschränkung, dass die Ausstellung nur für die eigenen Schüler/Studenten erfolgen darf. Die allerwenigsten High Schools verfügen über eine solche Erlaubnis (schlichtweg, weil die Kosten zu hoch sind, als dass es sich für sie rechnen würde), und die Anzahl an Colleges und Universitäten ist auch eher begrenzt, wenngleich höher. Die Wahrscheinlichkeit, dass also ausgerechnet die Schule im Bezirk der Bekanntschaft ein Visum ausstellen darf, ist verschwindend gering.

  • Hier ist eine Liste aller Institutionen, die Visumsunterlagen ausstellen dürfen:
    https://studyinthestates.dhs.gov/assets/certified-school-list-6-03-2015.pdf
    Die Liste gibt Ausschluss über die Ausstellung von Unterlagen für zwei verschiedene Visatypen: das F-1 und das M Visum (für nichtakademische und berufsbezogene Programme; d.h. für uns nicht weiter interessant). In der dritten Spalte der Datei findet sich die Angabe, ob die genannte Institution F-1 Visumsunterlagen ausstellen darf (Y = Yes; N = No). Ist eine Institution nicht auf der Liste, darf sie keine Unterlagen ausstellen.

Sollte die erste Hürde genommen sein, und die Schule unerwarteterweise Visums-Unterlagen ausstellen dürfen, hat sie im Gegenzug die staatliche Erlaubnis Schulgeld zu verlangen. Das Schulgeld ist individuell festlegbar, und kann bei öffentlichen Schulen gern 5.000 Euro und mehr betragen. Dazu muss man mit der Schule Kontakt aufnehmen. (Die Chancen, dass das Schulgeld gering ausfällt, dürften höher sein, wenn die Gastfamilie, die vllt. Kontakte zur Schule hat, diesen Part übernimmt.) In jedem Fall bietet sich an, die Fälligkeit und Höhe oder den Verzicht auf ein Schulgeld schriftlich festzuhalten.
Wer ein Jahr selbst organisiert, hat keine “Hilfe im Hintergrund”, die etwas organisiert, oder einen unterstützt. Man muss sich um alles selbst kümmern, z.B.:

  • Visumsbeantragung ggf.
  • Schuldgeld
  • Gastfamilie
  • Flüge Versicherungen (Auslandskrankenversicherung, Haftpflicht, Unfallversicherung, etc.)
  • Taschengeld / Kreditkarte
  • Telefonkarte, o.ä.
  • Arztbesuche: Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen, Augenarzt, Zahnarzt/Kieferorthopäde etc.
    (evtl: Kieferorthopäde in den USA finden, der die Behandlung fortsetzt)
  • Vorbereitung
  • Nachbereitung
  • Schulunterlagen
  • ggf. Koffer kaufen, Packliste schreiben
  • Gastgeschenke kaufen
  • Durchführung des SLEP-Test oder eines vergleichbaren Englisch-Tests …

Man muss sich also bei einem Jahr Vorbereitungszeit pro Monat um mindestens eine “Baustelle” kümmern. (Der Arbeitsaufwand dürfte jeweils damit vergleichbar sein, ein Zimmer im Rohbauzustand bewohnbar zu machen.) Die Vorbereitung sollte dabei unbedingt länger als einen Monat in Anspruch nehmen, und über das Anschauen von Filmen und Lesen von Reiseführern und Infoseiten wie Wikipedia weit hinaus gehen.

Letztlich gibt es einige wichtige Punkte, die in die Überlegung, ob man ein ATJ selbstständig organisiert, mit einbezogen werden sollten:

  • Ist die Selbstorganisation wirklich günstiger?
    Bei vielen Programmen gibt es einen Rabatt, wenn man seine Gastfamilie mitbringt (von <100 Euro bis >1000 Euro ist hier alles möglich). Manchmal fällt der Rabatt aber nachträglich weg, wenn die Gastfamilie später gewechselt wird. Die Konditionen sollte man prüfen.
    Gerade, wenn ein Schulgeld gezahlt werden soll, ist die Kalkulation, ob die Selbstorganisation günstiger ist, ratsam.

  • Kann ich mich selbst ausreichend und vollständig auf das Jahr vorbereiten? Kann ich das Jahr ohne fremde Hilfe nachbereiten?
    Diese Frage ist nicht immer so einfach zu beantworten, wie es scheint. Eine Orga hat jahrelange Erfahrung, und schult die ATS gezielt. Es werden Rollenspiele veranstaltet und Alltagssituationen besprochen; man trainiert, mit häufig auftretenden Problemen umzugehen und diese zu lösen, bevor aus einer Mücke ein Elefant wird. Kann man das selbst leisten (z.B. weil man eine Freundin oder Schwester hat, die schon als ATS weg war)?
    Wie sieht es nach dem Jahr aus, wenn man nach Hause kommt? Kommt man dann auch ohne Betreuung klar? Der Heimweg ist meistens schwieriger, als der Weg ins ATJ, und sollte nicht unterschätzt werden. Beim Aufbruch ins ATJ ist nämlich klar: egal wie es läuft, man ist nach einem Jahr wieder in Deutschland. Die Rückkehr vom Gastland nach Deutschland ist dagegen “ewig”, man kann nicht einfach länger bleiben und das Leben dort fortsetzen oder bald zurückkehren, wenn es einem in Deutschland nicht mehr gefällt.

  • Kann meine Gastfamilie auf eine Vorbereitung und Betreuung verzichten?
    Während es einem selbst vielleicht leicht fällt, auf die Vorbereitung und Betreuung zu verzichten, sollte man sich auch darüber klar sein, dass auch die GF darauf verzichten muss. Eine GF, die gut auf ihr ATJ und mögliche Probleme vorbereitet ist, ist oft “leichter im Nehmen”, und löst auftretende Probleme besser.

  • Was passiert, wenn ich während des Jahres Probleme habe? Wie stehen die Eltern dazu, wenn es Ärger mit den Freunden/Bekannten gibt? Will ich das Risiko eingehen, dass in einer solchen Situation die Beziehung nachhaltig geschädigt wird?
    Bei Problemen mit der GF ist es erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres möglich, diese zu wechseln, wenn man das Jahr selbst organisiert hat. Das kann einerseits dazu führen, dass das Jahr vorzeitig abgebrochen werden muss. Andererseits kann es auch bedeuten, dass man sich von den Eltern länger vorwerfen lassen muss, falsch und schlecht gehandelt zu haben und für die beschädigte Beziehung verantwortlich zu sein.
    Abgesehen von Problemen mit der Gastfamilie kann es aber natürlich auch Schwierigkeiten mit der Schule geben. So kann es z.B. vorkommen, dass manche Schule nicht ohne Weiteres eine Freistellung für das Jahr ausspricht, wenn keine Unterlagen von einer Organisation zur Verfügung gestellt werden.

  • Habe / Möchte ich Kontakt zu anderen ATS während des Jahres, die in anderen Staaten und Schulen sind?
    Kontakt zu “Gleichgesinnten” kann hilfreich sein, um Probleme (z.B. Heimweh) zu bewältigen und zu überstehen. Bei Organisationen trifft man andere ATS meistens auf VBTs, einem gemeinsamen Flug, o.ä. und hat Zeit, diese gut kennenzulernen. Bei einer Selbstorganisation wird es evtl. schwieriger, andere ATS zu treffen.

Fazit: Wir möchten keinesfalls davon abraten, ein ATJ selbst zu organisieren. Wir möchten hingegen jeden anregen, sich gut zu informieren, und dann ggf. eine Entscheidung, das Jahr selbst zu organisieren, bewusst und gezielt zu treffen.
Erfahrungsgemäß werden die Strapazen und der Umfang der Selbstorganisation unterschätzt, und es kommt gelegentlich vor, dass Familien, die das ATJ ihrer Kinder selbst organisieren woll(t)en, dann letztlich - kurz vor der Abreise und kurz vor einem Burn-Out - noch sehr kurzfristig eine Orga engagieren. Damit es dazu nicht kommt, wollen wir hier einen ersten Schritt tun, und über den Umfang und die Tücken der Selbstorganisation informieren.

Von: Wiebke