Interview Mario Stiploschek, Eurovacances: Schüleraustausch trotz Schulzeitverkürzung

„Schüleraustausch trotz Schulzeitverkürzung? Jetzt erst recht!“

Interview mit Mario Stiploschek, Gründer und Geschäftsführer der gemeinnützigen Schüleraustauschorganisation EUROVACANCES Youth Exchange gGmbH
Das Gespräch führt Sylvia Schill, Pressereferentin bei der Kultusministerkonferenz und Autorin des Buches „Ein Schuljahr in den USA“.
(16.02.2009)

Herr Stiploschek, vor rund 30 Jahren haben Sie EUROVACANCES gegründet. Wenn Sie Schüleraustausch Ende der 70er Jahre mit Schüleraustausch heute, 2009, vergleichen, was hat sich konkret verändert?
Das Thema Schüleraustausch war in unserem Gründungsjahr 1979 praktisch noch ganz neu. Es gab nur 4 bis 5 Austauschorganisationen und die Leute sind aus ganz Norddeutschland zum Bewerbungsgespräch nach Hamburg angereist. Heute sind es insgesamt ca. 60 Organisationen und aus meiner 1-Mann-Firma ist ein Netzwerk von 50 Mitarbeitern deutschlandweit entstanden, die die Familien direkt vor Ort betreuen können.
Stark verändert hat sich auch das Denken der Eltern, die in den 70ern dem Thema Schüleraustausch noch mit einer gewissen Portion Naivität begegnet sind und viel bescheidenere Ansprüche an das Programm gestellt haben, als es zum Teil heute geschieht.
Da spielen bestimmt auch die aktuellen schulischen Anforderungen mit hinein, die durch die reformierte Oberstufe entstanden sind.

Gerade diese – in vielen Bundesländern inzwischen eingeführte – Verkürzung der Schulzeit auf 12 Jahre verunsichert Jugendliche und ihre Eltern, die ein Auslandsjahr planen. Warum sollten die Schülerinnen und Schüler das Abenteuer Schüleraustausch trotzdem wagen?
Nicht trotzdem, sondern erst recht! Das 12-jährige Gymnasium gibt den Jugendlichen die Chance, das gewonnene Jahr ganz neu zu nutzen. Denn ein junger Mensch hat nur ein kleines Zeitfenster für einen Schüleraustausch. Ein Jahr lang eine andere Kultur sozusagen als Insider in einem Familienverbund kennen zu lernen ist ein Einstieg, der in dieser Form nie mehr nachgeholt werden kann – auch nicht als Student! Viele Firmen setzen internationale Erfahrungen bei ihren Mitarbeitern voraus und unsere Schüler können so im Alter von 15 bis 18 einen wichtigen Baustein ihrer Karriere schon selbst setzen. Der vermeintliche akademische „Verlust“ durch das Austauschjahr wird häufig durch die gewonnene Reife und eine neue, engagierte Arbeitshaltung wett gemacht. Nach ihrer Rückkehr befinden sich unsere Kids oft genug im oberen Leistungsdrittel.

Was raten Sie interessierten Familien, die sich Gedanken über die Anerkennung machen?
Für mich wäre die Anrechenbarkeit nie das entscheidende Kriterium, denn was mein Kind im Ausland bekommt, ist nicht materiell und nicht mit Zeit aufzuwiegen. Ein Schüleraustausch öffnet jungen Menschen Tore zur Welt und erfährt eine höhere Wertschätzung denn je! Diese Erfahrung ist einfach unglaublich wertvoll.
Wenn es den Eltern jedoch um die konkrete Anerkennung des Auslandaufenthalts für die Schullaufbahn geht, rate ich ihnen, sich möglichst frühzeitig an der jeweiligen Schule zu erkundigen. Laut Beschluss der Kultusministerkonferenz vom Juni 2006 kann auch am achtjährigen Gymnasium ein Auslandsaufenthalt bis zur Gesamtdauer eines Jahres auf die Schulzeit in Deutschland angerechnet werden. Für die konkrete Umsetzung sind die einzelnen Bundesländer verantwortlich und das wird selbst an den Schulen innerhalb eines Bundlandes nicht immer einheitlich gehandhabt. In Hamburg merken wir aber, dass gerade Schulen mit hohem akademischen Anspruch den Schüleraustausch befürworten und unterstützen!

Wie kommen die Austauschorganisationen den neuen Anforderungen durch die Schulzeitverkürzung entgegen?
In unseren Schulwahlprogrammen in Australien, Neuseeland und Kanada können wir gezielt Einfluss nehmen auf Fächerwünsche, Hobbys und Interessen, die vom Schüler bzw. seiner deutschen Schule an uns herangetragen werden. Wir beraten den Schüler und seine Eltern, empfehlen zwei bis drei Schulen, aber die letztendliche Entscheidung liegt dann bei der Familie. Hier können wir wirklich das „Wunschpaket“ schnüren, obwohl Kultur und Mentalität des Gastlandes natürlich immer ein Überraschungsmoment bleiben! Auch wenn bereits im Vorfeld die Highschool festgelegt ist, rate ich dringend dazu, ganz offen und mit realistischen Erwartungen an das Programm heran zu treten.
Wenn ein Schüler nur wenig Zeit für einen Austausch mitbringt, ist die Teilnahme an unseren Kurzzeitprogrammen (3-6 Monate) eine mögliche Alternative: Wir bieten derzeit in allen 15 Gastländern (ausgenommen England) sowohl Halb- als auch Ganzjahresprogramme an. In Australien, Neuseeland, Argentinien, Kanada und Südafrika ist sogar ein 3-Monatsprogramm möglich. Meistens wünschen sich unsere Schüler jedoch dann, noch verlängern zu können. Erst nach ein paar Monaten sind die meisten richtig im Gastland und in der Sprache angekommen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 30 Jahre Schüleraustausch?
Von den Eltern erhoffe ich mir jene Einsicht, die Jugendliche oft schon mitbringen: Ein Schüleraustausch ist eine Zeit voller Unwägbarkeiten, die nicht im Vorfeld durchgeplant werden kann. Darauf sollte sich die ganze Familie einstellen.

Wenn ich einen Blick auf die Weltkarte werfe, würde ich mir außerdem wünschen, dass in den kommenden Jahren weitere Mauern fallen, v.a. im Nahen Osten. Ein Austausch mit diesen Ländern – ohne Gefahr für die Jugendlichen – wäre ein Traum, dem aber momentan leider noch jeder realistische Hintergrund fehlt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Hier geht es zu unserer Umfrage zum Thema G8.

Weitere Informationen zu den Schüleraustausch-Programmen von EUROVACANCES Youth Exchange unter Tel. 040-44 70 700 oder www.eurovacances.de.