Interview Knut Möller, YFU: Gemeinnützig vs. kommerziell

Knut Möller, Geschäftsführer von YFU im Gespräch mit Sylvia Schill

Herr Möller, Sie sind Geschäftsführer des Deutschen Youth For Understanding (YFU), einer der ältesten gemeinnützigen Austauschorganisationen. Was unterscheidet gemeinnützige von kommerziellen Anbietern?
Vor allem die folgenden zwei Aspekte: erstens die große Zahl und das persönliche Engagement der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter und zweitens die finanziellen Bedingungen. Die Tatsache, dass sich bei YFU mehr als 1500 ehrenamtliche, nur durch ihren Idealismus motivierte Mitarbeiter engagieren, ermöglicht eine persönliche Unterstützung der Programmteilnehmer, eine intensive pädagogische Arbeit und die ständige Verbesserung der Programmarbeit. Das wäre ausschließlich durch hauptamtliche Mitarbeiter nicht zu machen. Und natürlich werden die finanziellen Mittel eines gemeinnützigen Vereins, der gesellschaftlich relevante Bildungsziele verfolgt, anders eingesetzt als die einer auf Gewinn ausgerichteten GmbH. Der Programmpreis der kommerziellen Anbieter liegt meistens auf dem gleichen Niveau wie bei uns, oft ist er sogar höher. Aber schauen Sie sich das Angebot genau an: Sind alle Leistungen im Preis enthalten? Wie lang sind die Vorbereitungsseminare? Werden die Schüler auf der Reise begleitet? Werden Stipendien angeboten und wie viele in welcher Höhe? Wie sind die Rücktrittsbedingungen? Diese Liste ließe sich noch verlängern. Mein Rat an Bewerber und ihre Eltern: vergleichen Sie die Angebote!

Eine provokante Frage: Machen gemeinnützige Austauschorganisationen bessere Arbeit?
Ja, meistens! Aber das ist nicht immer so und es ist nicht zwingend. Es gibt trotz der grundsätzlichen Unterschiede, die ich beschrieben habe, durchaus auch kommerzielle Anbieter, die professionell und seriös arbeiten, und es gibt gemeinnützige Anbieter, für deren Qualität ich mich nicht verbürgen würde.
Das Label „Gemeinnützigkeit“ reicht für einen Qualitätsvergleich nicht aus. Man muss genau hinschauen und die Angebote der verschiedenen Veranstalter sowie deren Professionalität vergleichen. Wir bemühen uns deshalb um Transparenz: Wir haben unsere Qualitätsziele auf unserer Homepage veröffentlicht, die einen Vergleich der Programmqualität verschiedener Anbieter erlauben; wir veröffentlichen unseren Teilnehmervertrag ebenso wie die Kalkulation des Programmpreises, und wir beantworten gern alle Fragen von Bewerbern oder ihren Eltern dazu.

Wie gelingt es Ihnen, so viele Ehrenamtliche für die Arbeit bei YFU zu gewinnen?
Die meisten unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter haben die YFU-Programme aus eigener Anschauung kennengelernt – als Austauschschüler, Gasteltern oder Eltern von Teilnehmern. Die Begeisterung für das Erlebnis und für die Arbeit von YFU lebt auch nach dem Austauschjahr weiter. Viele möchten diese Begeisterung weitergeben und auch anderen das ermöglichen, was sie selbst erlebt haben – das ist wohl die wichtigste Motivation für das große Engagement. Die Ehrenamtlichen haben bei YFU außerdem die Möglichkeit, sich persönlich weiterzuentwickeln: Sie werden regelmäßig geschult, können auf unterschiedlichsten Gebieten neue Herausforderungen annehmen und andere Menschen kennenlernen, die weltoffen, interessiert und engagiert sind wie sie selbst. Und nicht zuletzt macht die Arbeit bei YFU Spaß. Wer einmal an einem der Treffen oder Seminare teilgenommen hat, weiß, was ich meine.

Vor einigen Jahren hatte YFU eine große Krise: Viele Schüler konnten erst sehr spät oder gar nicht in den USA platziert werden. Diese Krise verlief relativ geräuschlos. Wie ist Ihnen das gute Krisenmanagement gelungen?
Sie beziehen sich darauf, dass YFU USA, der größte Partner im YFU-Netzwerk, im Jahr 2001 aufgrund von Management-Fehlern in den neunziger Jahren zahlungsunfähig geworden war. Mit Hilfe aller YFU-Partnerorganisationen wurde eine neue Organisationsstruktur geschaffen, die im Frühjahr 2002 die Programmarbeit in den USA übernommen hat. Seitdem haben wir einen sehr engen und vertrauensvollen Kontakt mit der YFU-Organisation in den USA. Sie spielt eine wichtige Rolle als stabiler und zuverlässiger Partner in unserem Netzwerk und gehört zu den größten, renommiertesten und erfahrensten Austauschorganisationen in den USA. Geräuschlos verlief das ganze damals gewiss nicht. Es gab aber kaum Beeinträchtigungen der Programmarbeit, weil der Übergang von der alten zur neuen Organisation gut organisiert war und reibungslos verlief. Für die Programmteilnehmer und ihre Eltern, die wir frühzeitig und offen informiert haben, gab es kaum Auswirkungen, weil die lokalen YFU-Betreuer in fast allen Fällen die gleichen geblieben sind und die Programmarbeit unverändert weiter lief. Ihre Aussage, dass damals Schüler gar nicht platziert wurden, stimmt übrigens nicht. In der über 50-jährigen Geschichte von YFU waren wir noch nie gezwungen, einem Teilnehmer abzusagen, weil keine Gastfamilie gefunden werden konnte.

YFU platziert nicht nur deutsche Schüler in der Welt, sondern holt auch viele ausländische Jugendliche für ein Schuljahr nach Deutschland. Warum wird gerade auch das Aufnahmeprogramm so stark von Ihnen gefördert?
Ich freue mich persönlich und bin stolz darauf, dass Deutschland als Zielland für Austauschschüler immer attraktiver wird. Inzwischen kommen jährlich circa 2600 Jugendliche für ein Jahr nach Deutschland. Es ist doch merkwürdig, wenn man als Organisation für Schüleraustausch dem Wunsch von Jugendlichen aus anderen Ländern, ein Jahr in Deutschland zu leben, nicht entspricht. Es ist auch hier entscheidend, dass wir als gemeinnützige Organisation nicht deshalb Programme veranstalten, weil wir damit Geld verdienen wollen. Wir bieten auch Programme an, die einen gewissen – auch finanziellen - Aufwand erfordern, die wir aber vor allem aus inhaltlichen Gründen für wertvoll und wichtig halten. Mehr als 80% der Austauschschüler in Deutschland werden von den gemeinnützigen Anbietern aufgenommen, die im AJA zusammengeschlossen sind. Das spricht wohl für sich.Genau wie unsere Austauschschüler aus Deutschland werden die Jugendlichen, die für ein Jahr zu uns kommen, zu Botschaftern zwischen den Kulturen und bereichern nicht zuletzt auch den Alltag Ihrer Gastfamilien und ihrer Schulen in Deutschland. Oft hören wir, dass Gastfamilien durch das Austauschjahr lernen, ihre eigenen Gewohnheiten mit ganz neuen Augen zu sehen. Das ist für uns interkulturelle Verständigung in den eigenen vier Wänden – und damit ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Austauscharbeit. Wir freuen uns über jede Meldung einer Familie, die einen Austauschschüler aufnehmen möchte!

Neben den beliebten Austauschzielen wie USA, Australien oder Kanada hat YFU auch Nischendestinationen wie Moldawien, Polen oder Tschechien im Angebot. Was sollte Ihrer Meinung nach einen Schüler dazu motivieren, dort einen Schüleraustausch zu machen?
Ich muss sagen, dass mir die Bezeichnung „Nischendestination“ nicht gefällt. Unsere Kollegen aus Moldawien, Polen und Tschechien würden sie sicherlich als Provokation empfinden. Alle Mitglieder im YFU-Netzwerk sind davon überzeugt, dass interkulturelle Verständigung nicht nur darin bestehen kann, Schüler aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern in die USA oder nach Australien, Neuseeland oder Kanada zu bringen. Es ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, die Globalisierung so zu organisieren, dass alle Kulturen und alle Religionen sich miteinander verständigen und voneinander lernen. Das wird noch viel Mühe kosten. Wir möchten einen kleinen Beitrag dazu leisten, und bemühen uns deshalb um den Aufbau eines Netzwerkes für den Schüleraustausch, das möglichst alle Regionen unserer Erde umspannt.
Wir sind zudem davon überzeugt, dass es für das Austauscherlebnis zweitrangig ist, für welches Land man sich entscheidet. Ob USA, Chile, Lettland oder Korea – überall werden die Jugendlichen Gastfreundschaft erfahren und lernen, sich in eine fremde Kultur einzufinden. Für die Jugendlichen, die diese Länder oder auch zum Beispiel Brasilien, Japan oder Ungarn entdecken wollen, ist es oft gerade eine Motivation, die besonderen Chancen zu ergreifen, die dort zu finden sind. Der Vorsitzende unseres Vereins ist ein gutes Beispiel: er lebt heute in Helsinki und arbeitet für Nokia. Und auch wenn der Spracherwerb bei YFU nicht das wichtigste Ziel ist: Wer eine ausgefallenere Sprache wie Polnisch oder Ungarisch beherrscht, setzt in seinem Lebenslauf individuelle Akzente und beweist, dass er Herausforderungen annimmt und meistern kann.

Zu guter Letzt eine Frage: Was hat Sie beruflich in den Bereich Schüleraustausch getrieben?
Ich habe mich als Schüler und als Student ehrenamtlich für den CISV engagiert, eine Organisation, die Austauschprogramme hauptsächlich für Kinder anbietet. Diese Arbeit, die internationalen Kontakte, der Optimismus der Mitarbeiter und die Begeisterung, sich für interkulturelle Verständigung und friedliche Konfliktlösung einzusetzen, hat mich immer fasziniert. Als sich nach meinem Studium die Chance ergab, mich beruflich in diesem Bereich zu engagieren, habe ich nicht gezögert. Ich habe diese Entscheidung nicht bereut.

Mehr Informationen zu YFU im Internet.

sehr guter & informativer beitrag. :slight_smile: