Unsere Erfahrungen mit unserem Gastsohn aus Taiwan

Hallo, liebe Eltern,

heute ist, nach 10 Monaten Aufenthalt in unserer Familie, unser Gastsohn aus Taiwan abgereist. Wir sind um viele Erfahrungen reicher - leider kaum positive, sondern eher enttäuschende. Von der Organisation sind wir nicht vorbereitet worden, was uns erwarten könnte - vielleicht ganz gut, denn sonst hätten wir uns wohl nicht darauf eingelassen.

Da zwei unserer Kinder ein tolles Austauschjahr in den USA verbracht haben (der Jüngste ist gerade eine Woche zurück), dachten wir eigentlich, dass wir die Anforderungen an Austauschschüler kennen. Bei unserem Gastsohn aus Taiwan war es aber anders.

Ein Wunsch, sich ins Land oder in die Familie zu integrieren, war zu keiner Zeit vorhanden; ebenso wenig wie die Absicht, Deutsch zu lernen. Wir fühlten uns irgendwann nur noch als Hotel, weil wir es aufgegeben haben, mit ihm etwas zu unternehmen oder ihm etwas zu zeigen, weil kein Interesse von seiner Seite spürbar war. Seine Wochenenden bestanden dann aus Schlafen (bis nachmittags) und Computerspielen. Wir machten uns zunächst Sorgen, aber er beteuerte immer, dass alles wunderbar sei. Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, hat er zum Schluss aber kaum noch die Schule besucht und wohl gar nicht mehr den nachmittäglichen Deutschkurs. Trotzdem ging er regelmäßig zu den gewohnten Zeiten aus dem Haus und berichtete uns von seinen Erlebnissen dort. Ich bin noch nie im Leben so oft (und immer mit einem Lächeln) angelogen worden.

Ich finde es letztendlich auch schade für ihn, dass er das Jahr im Ausland nicht genutzt hat, um sich auf die andere Kultur einzulassen. Mittlerweile habe ich von anderen Leuten gehört, dass es bei ihnen (oder Bekannten) ganz ähnlich war. Das scheint bei uns kein Einzelfall gewesen zu sein - aber warum hört man nichts von solchen Problemen? Vermutlich, weil keine potenziellen Gastfamilien abgeschreckt werden sollen, so meine Vermutung. Das hinterlässt aber einen bitteren Beigeschmack, weil wir wirklich harte Monate hinter uns haben und manchmal kurz vor der Aufgabe standen.

Mein Mann und ich sind derzeit einfach nur ausgelaugt und unsagbar enttäuscht.

Vielleicht hat jemand hier ähnliche Erfahrungen gemacht?

Viele Grüße
Connemara

Hallo, das macht wirklich einen enttäuschenden Eindruck. Warum habt ihr, trotz Überlegungen abzubrechen, so lange durchgehalten?

Hallo Connemara,
habt ihr denn, als ihr das alles gemerkt habt, die Organisation eingeschaltet? Ich habe in diesem Jahr auch einen Schüler aus Taiwan betreut, der sich bei seiner Gastfamilie ähnlich benommen hat, wie Euer Schüler. Nach mehreren Gesprächen, die zunächst nicht gefruchtet haben, hat er dann eine letzte Verwarnung erhalten, und musste die Gastfamilie wechseln (weil seine GF dann genug hatte). In der neuen Familie hat er sich dann endlich verändert und ist dann letzte Woche nach Hause geflogen…

Gerade bei Taiwanern habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie ihre Eltern oft anlügen, weil die taiwanischen Eltern regelmäßig sehr streng sind, und ihnen kaum Freiräume lassen. Die Schüler kennen es deshalb gar nicht anders, und versuchen es natürlich auch hier nach dem gewohnten Muster. Wenn man dann aber offen und direkt mit ihnen spricht, und ihnen auch die Konsequenzen ihres Handelns aufzeigt, kann das zum Erfolg führen.

Schade, dass ihr da schlechte Erfahrungen machen musstet…

Liebe Grüße,
Wiebke

Hallo, Senfer und Wiebke,

vielen Dank für die Antworten! Das ist wirklich sehr interessant zu lesen. Wir haben schon vermutet, dass er vor den hohen schulischen Anforderungen in Taiwan fliehen und sich für ein Jahr einfach ausklinken wollte - egal wo. Das hätten wir vielleicht akzeptieren können (oder auch nicht? Wenn wir das von Anfang an gewusst hätten, wohl doch nicht …), nicht aber, dass das regelmäßig mit Lügen einhergeht.

Wir hatten im letzten Herbst mit unserer Organisation gesprochen und geschildert, dass er nur in seinem Zimmer ist und überhaupt nicht am Familienleben teilnimmt. Daraufhin hat er von der Organisation eine Verwarnung bekommen, die auch seinen Eltern geschickt wurde. Mich hatte das ziemlich entsetzt, weil ich das so nicht gewusst hatte und als Vertrauensbruch der Organisation uns gegenüber angesehen habe - ich sah mich als verantwortlich dafür, dass seine Eltern über eine Sache, die eigentlich nur uns betraf, informiert wurden; dass das passiert, wusste ich nicht und hätte es nicht gewollt. Daraufhin beschlossen mein Mann und ich, die Organisation nicht mehr sofort bei Problemen hinzuziehen.

Er hat außerdem ziemlich unrealistische Forderungen gestellt bekommen, durfte sich zum Beispiel nur noch eine Stunde am Tag in seinem Zimmer zum Computerspielen aufhalten. Kurze Zeit sahen wir ihn dann häufiger bei uns, aber er fiel schnell in seine alten Gewohnheiten zurück.

Im Januar, als er mich dann das erste Mal anlog, war die Sache für mich eigentlich beendet. Wir hatten dann doch unsere Betreuerin angerufen, um ihr mitzuteilen, dass wir ein großes Problem haben. Sie war aber gerade nicht erreichbar (vielleicht ganz gut - oder auch nicht? -, denn sonst hätten wir es wohl beendet).
Mein Mann hat dann mit unserem Gastsohn gesprochen, ihm gesagt, dass wir mit ihm in unserer Familie eigentlich keine Perspektive mehr sehen. Er solle sich überlegen, ob er weiterhin bei uns bleiben möchte, aber wir erwarten dann zumindest eine Entschuldigung. Er hat sich dann unter Tränen entschuldigt. Wir führten ein sehr intensives Gespräch, und ich glaubte, wir hätten es geschafft. (Als kurz danach unsere Ansprechperson anrief, sagten wir ihr, dass wir das Problem doch noch lösen konnten.)

Dass er kaum noch beim Volkshochschulkurs und auch nur noch selten in der Schule war, hat mir mein Mann erst gestern erzählt, nach Abreise unseres Gastsohnes. Er hatte es in den letzten Wochen zufällig herausgefunden und es mir nicht erzählt - wohl wissend, dass ich dann alles beenden wollte (da hat er mich wohl richtig eingeschätzt …).

Tja, und jetzt sitzen wir hier und sind etwas ratlos. Im Nachhinein finde ich es in Ordnung, dass wir durchgehalten haben.

Mir geht es aber gar nicht nur um unseren “Fall”, sondern darum, wie man solche Enttäuschungen für andere Familien in Zukunft vermeiden kann. Mir hätte zum Beispiel ein Erfahrungsaustausch mit anderen Familien sehr geholfen. Oder eine Vorbereitung durch unsere Organisation auf das, was vielleicht an Problemen auftauchen kann (zum Beispiel auch darüber, dass es ein Instrument wie die Verwarnung überhaupt gibt). Oder aber auch die bessere Vorbereitung der Schüler selbst, denn sein Aufenthalt bei uns begann damit, dass er alles in unserer Familie gefilmt und fotografiert hat (auch Privatdinge und Tätigkeiten) und dann bei Facebook öffentlich einsehbar hochgeladen hat, was wir nur zufällig gemerkt haben - aus heutiger Sicht aber Kleinigkeiten angesichts der späteren Probleme.

Für mich bleiben jedenfalls viele offene Fragen.

Viele Grüße
Connemara

Oh oh, da habt ihr schon was mitgemacht. Wenn man sich das Abenteuer Gastschüler ins Haus holt sind Überraschungen sicher nie auszuschliessen. Die fremde Kultur, die Ungeahntes mit sich bringt, die persönlichen Probleme des Jugendlichen, die Erwartungen auf beiden Seiten. Ihr habt euch sehr bemüht. Hut ab!
Dass es so an Vorinformationen gemangelt hat. Nicht mal von den Abmahnungen wusstet ihr. Seltsam. Allerdings ist es auch nicht anders, wenn man ein Kind in die Welt hinausschickt. Hinterher ist man immer schlauer. Ist einfach so.

Hallo ins Forum!

Auch mir tut es leid, dass ihr solch schlechte Erfahrungen machen musstet. Wir haben ähnliche Erfahrungen mit unserem zweiten ATS aus Südamerika machen müssen, wobei bei uns die Organisation bei der Deutschen Schule in La Paz lag, und nicht bei einer Orga, ich habe zeitnah darüber auch im Forum berichtet. Als Betroffene kann ich euch - auch mit dem heutigen Abstand - nur sagen: seht es als familiäre Bereicherung an, auch wenn die Zeit insgesamt sehr hart war (unsere beiden Kinder hatten sich zum Schluss gänzlich von dem ATS distanziert, von ihrem Freundeskreis ganz zu schweigen). Zumindest habt ihr über dieses Forum die Schwierigkeiten auch öffentlich gemacht, so dass Interessierte zumindest die Chance einer realistischen Einschätzung erhalten - was die Aufnahme von Asiaten als ATS anbelangt - .Wir haben der Schule nach dem Heimflug unseres “Blindgängers” einen sehr langen Bericht übermittelt, in dem wir auch Probleme hinsichtlich der - unserer Auffassung nach - verbesserungswürdigen Vorbereitung angeprangert haben. Nach unserem Kenntnisstand hat sich inzwischen dort etwas verbessert, wenngleich noch längst nicht alle Probleme behoben sind. Allerdings hatten wir auch einen ATS, der - nach den Worten meines Mannes - ein “ausgesprochen verpeiltes Exemplar der Spezie Mensch” war…M. E. hätte er nie und nimmer in einen Austausch gehört, ihm fehlte die Neugier und der Wille, sich auf Veränderungen einzulassen, und der Biss, sich an einer fremden Schule behaupten zu wollen. Vielleicht hilft Euch ja auch, noch einmal den Kontakt mit der Orga zu suchen. Sofern ihr euch dagegen entscheiden solltet, käme vielleicht auch die Nennung des Orga Namens z. B. hier im Forum in Betracht, als Warnung für die nächsten frustrierten Gasteltern…

Kopf hoch, ihr habt es geschafft und zumindest wird dieser kräftezehrende Aufenthalt ein Meilenstein in eurer Familiengeschichte sein. (So ist es jedenfalls bei uns, inzwischen können wir herzlich über das Erlebte lachen - damals ging es nicht!)

Liebe Grüße aus Westfalen

Hallo,
ich glaube die Vorbereitung des Schülers und der Gastfamilien ist auch eine Frage dessen, bei welcher Organisation man ist, und was für einen Beteuer man erwischt. Ich weiß, dass alle Asiaten bei uns intensiv vorbereitet werden - oft hilft das nichts.
Deshalb habe ich es mir angewöhnt, ein intensives Gastelternseminar anzubieten. Da lernen die Gastfamilien nicht nur etwas über das Programm und mögliche Probleme (ganz konkret in Bezug auf die Kultur ihres Schülers), sondern haben auch die Gelegenheit, sich mit anderen GF auszutauschen. Ich rate jeder Familie immer dringend, daran teilzunehmen, aber es gibt immer wieder welche, “die es besser wissen”, und nicht kommen - und dann tauchen hinterher die Probleme auf. :wink:
Auf solchen Seminaren sollte auch klargestellt werden, was passiert, wenn Probleme auftreten. (Unter welchen Voraussetzungen Verwarnungen erteilt werden, wann das Büro informiert wird, wann das Heimatland informiert wird, etc.) Dann gibt es hinterher für GF auch keine “bösen Überraschungen”.

Ich glaube, es hängt aber auch viel daran, was für einen Betreuer man hat, und wieviel Menschenkenntnis der mitbringt. Ich suche nämlich regelmäßig die Schüler für meine Familien aus. Und in den allermeisten Fällen hat das dann auch super gepasst. In diesem Jahr hat das Büro weitestgehend Platzierungen ohne mich vorgenommen, und es ist ein Chaos ausgebrochen. :rolleyes:

Wenn ihr es an sich also spannend fandet, GF zu sein, würde ich an eurer Stelle vllt. mal darüber nachdenken, ob ihr einfach einen Schüler über eine andere Organisation aufnehmt, die andere Betreuer und andere Vorbereitungen hat. Evtl. könnt ihr das ja auch nur für ein paar Wochen am Anfang als “Welcome-Family” machen.

Liebe Grüße,
Wiebke

Das klappt aber leider nur, wenn die Familie so offen ist, dass sie sich auf auf das einlässt, was der Betreuer vorschlägt.

Ich habe mal eine Familie + Schülerin betreut, wo der Gastvater Latino war und die Familie darum nur einen lateinamerikanischen Schüler aufnehmen wollte. Alles andere kam nicht infrage. „Weil wir dann ja Probleme auf Spanisch klären können.“ Ende vom Lied war natürlich absehbar: Gastvater sprach das ganze Jahr nur Spanisch mit ihr, Gastmutter bei wichtigen Dingen auch, ihr Deutsch blieb ziemlich mäßig. Und richtig glücklich war sie auch nicht, denn sie hätte sich eine deutsche Familie gewünscht, und keine, die fast nur lateinamerikanische Musik hört und fast nur lateinamerikanisches Essen isst.

Das Jahr war im Nachhinein für beide Seiten „okay“. Ich denke häufig daran, ob ich weiter hätte versuchen sollen, ihnen einen nicht-spanischsprachigen Schüler „aufzudrängen“, aber ich denke, das hätten sie einfach nicht gemacht.
Im Nachhinein ist die Familie auch schlauer, und sie überlegen, nochmal jemanden aufzunehmen „wenn sie die Schülerin nicht mehr so vermissen“ :wink:
Ich weiß aber immer noch nicht so richtig, was ich hätte besser machen können.

Liebe Wiebke,

was du beschreibst, klingt völlig plausibel, damit kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Ich wünschte, wir wären so vorbereitet worden. Wir hatten uns halt mit unserem Wunsch, einen Gastsohn aufzunehmen, an die Organisation gewandt, mit der zwei unserer Jungs in den USA waren, weil wir mit ihr ganz zufrieden waren. Für sie war es auch das erste Mal, dass Schüler aus Taiwan nach Deutschland kamen; ein anderer aus der kleinen Fünferrunde war schon nach einigen Monaten wieder zurück in Taiwan, wie wir mitbekommen haben.

Wir möchten der Organisation unsere Erfahrungen in einem ausführlichen Brief mitteilen - nicht, um unseren Frust abzulassen, sondern um aufzuzeigen, wo man was verbessern könnte.

Im Augenblick sind wir froh, als Familie wieder unter uns zu sein. Ich halte es aber nicht für ausgeschlossen, dass wir irgendwann wieder offen sind für einen Gast - dann aber wahrscheinlich nicht mehr aus Taiwan, weil mir die Mentalität nach wie vor rätselhaft und fremd geblieben ist (bzw. noch viel mehr als vor 10 Monaten).

Der Tipp, es vielleicht irgendwann mal als Welcome-Family zu versuchen, ist gut. Ich sehe das Ganze mittlerweile zum Glück wieder etwas entspannter. Eine prägende und bleibende Erfahrung war es allemal.

Viele Grüße
Connemara

@ Gespenst:
hmmm… für mich hängt das aber in erster Linie nicht an der Nationalität, sondern am Schüler selbst. Dass Gasteltern eine bestimmte Nationalität gewünscht haben, habe ich öfter erlebt. Dem komme ich dann auch nach Möglichkeit nach. Oder erkläre, warum ich eben ein Mädchen aus Taiwan für ihre lebendige Gastfamilie für ungeeignet halte.

Ich hätte in deiner Situation vermutlich einen spanisch-sprachigen Schüler ausgesucht, aber denen auf jeden Fall auch noch einen anderen Schüler, der kein Spanisch kann, vorgeschlagen. Und ihnen erklärt, dass ich sie verstehe, dass das schon Vorteile haben kann, wenn man den Schülern etwas auf Spanisch erklären kann. Gleichzeitig ist es aber so, dass sie ja vllt. auch etwas neues kennenlernen wollen, dass sie noch nicht kennen. Und sie sich eben, wenn sie eigene Kinder ins Ausland schicken würden, für diese auch die Chance wünschten, dass diese ihre Fremdsprachenkenntnisse sehr stark erweitern, indem sie sich eben auch in schwierigen Situationen in der Landessprache und nicht auf Deutsch (spanisch) unterhalten müssen, weil es anders nicht geht.

Ich habe in solchen Situationen die Gastfamilien bewusst darüber schlafen lassen, und auch Kontakt zu ehemaligen Familien herstellen lassen. Und das hat dann immer ganz gut geklappt. :wink: Aber wie du schon in Bezug auf die Vorbereitung sagtest: Manche sind eben beratungsresistent. :o

Es tut mir leid, dass Ihr so schlechte Erfahrungen gemacht habt und umso mehr finde ich es respektabel, dass Ihr die Sache von Anfang bis zum Ende durchgezogen habt.

Hallo,
dass es mit Asiaten oder Südamerikanern des öfteren schwierig ist, habe ich ja nun schon oft gehört und gelesen. Aber einer bekannten Familie ging es letztes Jahr mit einem Gastschüler aus USA genau so (Schule und Deutschkurse geschwänzt und darüber gelogen) - Pech kann man also immer haben. (Glück natürlich auch!)
Ich bewundere alle Gastfamilien, die dieses Experiment mit einem fremden Kind wagen - ich denke zwar auch immer, dass ich eigentlich dazu “verpflichtet” bin aus Dankbarkeit für die Auslandsaufenthalte meiner Söhne… aber die Bedenken sind bisher noch größer, mal abgesehen von anderen Gründen, die im Moment dagegen sprechen. Aber vielleicht später mal, wer weiß.

Mississauga

Hallo ins Forum,
aufgrund der tollen Erfahrungen, die unsere ältere Tochter im vergangenen Jahr in den USA machte und der Tatsache, dass unsere Jüngere vor 5 Monaten ebenfalls als ATS in die USA ging, haben wir uns im letzten Jahr entschieden, ebenfalls ein Gastkind bei uns aufzunehmen. Den Anstoß dazu gab unsere Ältere, die meinte, wir wären doch auch eine tolle Familie und könnten somit etwas “zurückgeben”. Aus heutiger Sicht war unsere Entscheidung, es dann wirklich zu tun, vielleicht naiv und wir hätten gut daran getan, erst einmal Welcome Familie zu sein.
Denn seit September 2014 lebt nun eine Schülerin aus Südamerika bei uns, bei der ich schon nach einer Woche das Gefühl hatte, das die Chemie zwischen uns nicht stimmt, da das Mädchen zwar sehr nett und höflich ist, aber wenig spricht und auf unsere Fragen, wie “Möchtest Du dies oder das?” stets mit “Ist mir egal” oder “Ich weiß nicht” antwortete. Vor allem kam (und kommt) es uns so vor, als wenn es ihr an Interesse für unsere Familie, für die deutsche Schule (und Schüler/innen), für unsere Kultur usw. fehlt - also Dinge, die nach unserer Auffassung unabdingbar wichtig sind für einen Austausch. Im Prinzip genau das, was schon jmd. hier im Forum geschrieben hat: Ein ATS muss neugierig sein und den eigenen (!) Willen haben, sich an andere Lebensweisen anzupassen und sich auch an einer fremden Schule durchzubeißen und Kontakt zu dt. Schülern zu suchen.
Aber durch die Informationen der Austausch-Orga wussten wir natürlich, dass das Aneinander-Gewöhnen Zeit braucht und versuchten also, mit der neuen Situation zu leben. Beim ersten Wochenend-Seminar nach 2 Monaten sprach ich mit anderen Gasteltern darüber, von denen manche ähnliche Erfahrungen gemacht haben (und das meist ebenfalls mit Südamerikanern, die wir für besonders aktiv, aufgeschlossen und begeisterungsfähig eingeschätzt hatten).

Anschließend habe ich ein offenes Gespräch mit unserer brasilianischen Tochter geführt und ihr meine Sicht geschildert und sie hat erklärt, dass man in Brasilien (und/oder ihrer Familie) nicht offen über Dinge spricht, sie sich aber bei uns wohlfühlt und sich bemühen will, ihr Verhalten zu ändern und sich auch mehr zu öffnen. Darum haben wir das bereits mit der Elternvertreterin der Orga geplante Gespräch dann doch nicht geführt.

Inzwischen hat sich unser Leben irgendwie eingependelt, aber gut fühlt es sich zumindest für mich nicht an. Unsere ATS spricht nach wie nur dann, wenn man auf sie zugeht, sie zeigt kaum Interesse für Dinge, die in unserer Familie passieren - außerdem können sie und unsere Tochter nichts miteinander anfangen (obwohl sie gleichaltrig sind und zur selben Schule gehen) und auch bei schönen, gem. Aktivitäten (Theater, Comedy, Konzert, Weihnachten etc.) kommt nichts rüber, keine Begeisterung, keine Empathie, sodass ich mittlerweile die Lust verloren habe, etwas zu organisieren.
Wirklich Spaß macht es ihr glaube ich nur, sich mit anderen ATS zu verabreden, was sie auch häufig tut.

Unsere Tochter und mein Mann sehen die Situation zwar auch als nicht ganz optimal, aber während mich die ganze Sache als Mutter und Bezugsperson mehr uns mehr zermürbt, haben sie sich mit der Lage arrangiert.

Ich bin nun hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, das Abenteuer Gastfamilie abbrechen zu wollen oder aber “durchzuhalten” bis zum Sommer, in der Hoffnung, dass ich danach irgendwann sagen kann: Es hat sich gelohnt!

Viele Grüße,
KirstenMarlene

Meine Erfahrungen mit einer Gasttochter aus Taiwan
Von August 2015 bis Juli 2016 hatte ich ein Mädchen (damals 15) aus Taiwan bei mir aufgenommen. Ich lebe alleine, meine 3 Kinder sind erwachsen und ihre Zimmer stehen leer. Da wir auch als Familie immer mal Gastkinder bei uns hatten, wollte ich gerne einer ATS das Abenteuer Austauschjahr ermöglichen. Meine Gasttochter war im Grunde ein liebes aber auch sehr introveriertes Mädchen. Sie war auch sehr gerne in ihrem Zimmer und beschäftigte sich mit ihrem Smartphone oder schlief. In Taiwan lebte sie außerhalb der Ferien in einem Internat und musste sich das Zimmer mit 3 anderen Klassenkameradinnen teilen. Vielleicht war das der Grund warum sie für eine 15-16 Jährige ein immenses Schlafbedürfnis hatte. Da ich Teilzeit (30Std.) arbeite war sie auch öfters alleine. 2x in der Woche ging sie zum Volleyball-Training und 1x zum Tanzen. Zu Beginn tat sie sich mit Verabredungen mit anderen schwer. Das änderte sich aber zum Ende des Austauschjahres hin. Es gab auch Zeiten da kam sie nur zum Essen aus ihrem Zimmer. Das machte mich manchmal traurig, weil ich mir ja auch ein bisschen Gesellschaft erhofft hatte. Nachdem ich 1x abends mit ihr ins Theater (Musical) gegangen war und sie mir auf der Rückfahrt in der U-Bahn eingeschlafen war, wollte sie nicht mehr mitgehen.
Ich hatte aber das Gefühl, dass ich ihr vertrauen und mich auf sie verlassen konnte. Sie hat mich auch nicht belogen (jedenfalls habe ich sie nicht dabei erwischt). Sie ist auch regelmäßig zur Schule gegangen. Insofern habe ich sie einfach gelassen, wenn sie in ihrem Zimmer hocken wollte, bitte schön. Mit der Zeit - vielleicht war es aber auch eine Frage des Alters - wurde sie offener und hatte auch mal Spaß etwas mit mir zu unternehmen. Wir waren 4 Tage in Bonn und 5 Tage in Wien zusammen. Am geselligsten wurde sie immer, wenn meine Kinder kamen.
Vielleicht sollte man nicht soviel von den ATS erwarten. Das gilt vor allem dann, wenn sie noch recht jung sind. Zwischen 15 und 18 liegen manchmal Welten. Allerdings glaube ich auch, dass es besser ist gleich zu Anfang , am besten noch vor Anreise per Email, zu sagen, was man erwartet und was man nicht wünscht. Wenn “Fehlverhalten” auftritt, gleich intervinieren aber Raum zur Korrektur geben. Klare Regeln sind Taiwanesen gewöhnt.
Unterm Strich würde ich meine Erfahrungen nicht als schlecht bezeichnen. Es ist eben eine andere Mentalität. Auch meine Gasttochter hat die Zeit hier genossen und beim Abschied bitterlich geweint. Noch heute schreibt sie mir und schickt mir Fotos.
Im Übrigen glaube ich, dass es keine Frage der Nationalität ist. es gibt eben solche und solche.

Eine Sache werde ich aber anders machen: Ich hatte ihr den Zugang zu meinem Wlan gegeben, mit dem Ergebnis, dass sie ständig - fast taglich - mit ihrer Mutter gesprochen hat und auch alle Dinge, die sie eigentlich mit mir besprechen sollte, mit ihrer Mutter geklärt hat. (Allerdings intervenierte die Mutter auch manchmal in meinem Sinn.) Aber das hat natürlich die Beziehung zu mir nicht vertrauter machen können. Da werde ich mir für das nächste Mal etwas anderes überlegen.